Der Graf von Monte Christo 1
Gefangenen, der noch zögerte, leicht vorwärts. Dantès überschritt die furchtbare Schwelle, und die Tür schloß sich geräuschvoll hinter ihm. Er atmete eine andere Luft, eine übel riechende schwere Luft. Er war im Gefängnis.
Man führte ihn in ein vergittertes und verriegeltes, aber ziemlich reinliches Zimmer; der Anblick seiner Wohnung fl ößte ihm deshalb keine zu große Furcht ein, zudem klangen ihm die Worte des Staatsanwalts, in deren Ton Dantès so große Teilnahme zu erkennen geglaubt hatte, wie ein süßes Versprechen der Hoff nung im Ohre nach.
Es war vier Uhr, als Dantès in sein Zimmer geführt wurde. Es war der erste März, und bald brach die Dunkelheit herein.
In dem Maße, wie der Gesichtssinn ihm versagte, schärfte sich das Gehör; bei dem geringsten Geräusch, das zu ihm drang, erhob er sich lebhaft und tat einen Schritt gegen die Tür, überzeugt, daß man käme, um ihn in Freiheit zu setzen; aber das Geräusch entfernte sich bald wieder und erstarb in einer anderen Richtung, und Dantès sank auf seinen Schemel zurück.
Endlich gegen zehn Uhr abends, als Dantès schon die Hoff nung aufzugeben begann, ließ sich wieder ein Geräusch vernehmen. In der Tat ertönten Schritte im Korridor und machten vor seiner Tür halt; ein Schlüssel drehte sich im Schloß, die Riegel kreischten, und die massive Eichentür öff nete sich und ließ plötzlich das blenden-de Licht zweier Fackeln in das fi nstere Zimmer fallen. Bei dem Licht dieser Fackeln sah Dantès die Säbel und Karabiner von vier Gendarmen blitzen.
Er war zwei Schritte vorgetreten, blieb aber unbeweglich auf der Stelle stehen, als er diese verstärkte Bewachung erblickte.
»Kommen Sie, um mich zu holen?« fragte Dantès.
»Jawohl«, antwortete einer der Gendarmen.
»Im Auftrag des Herrn Zweiten Staatsanwalts?«
»Ich glaube.«
»Gut«, sagte Dantès, »ich bin bereit, Ihnen zu folgen.«
Die Überzeugung, daß man ihn auf Anordnung des Herrn von Villefort holte, nahm dem unglücklichen jungen Mann jede Furcht; er trat also ruhigen Gemüts und freien Schrittes vor und stellte sich von selbst in die Mitte seiner Begleiter.
Ein Wagen hielt auf der Straße vor der Tür; auf dem Bock saßen der Kutscher und neben ihm ein Gefreiter.
»Ist denn der Wagen für mich da?« fragte Dantès.
»Für Sie«, antwortete einer der Gendarmen, »steigen Sie ein.«
Dantès wollte einige Einwendungen machen, aber der Schlag öff -
nete sich, und er fühlte, daß man ihn vorwärts schob; er hatte weder die Möglichkeit noch die Absicht, Widerstand zu leisten, und befand sich im nächsten Augenblick auf dem Rücksitz des Wagens, von zwei schwerbewaff neten Gendarmen postiert; die beiden andern nahmen auf dem Vordersitz Platz, und der schwere Wagen setzte sich mit unheimlichem Geräusch in Bewegung.
Der Gefangene spähte durch die Öff nungen; sie waren vergittert; er hatte nur das Gefängnis gewechselt; der einzige Unterschied war, daß dieses sich bewegte und ihn einem unbekannten Ziel zuführ-te. Durch die Gitterstäbe, die so dicht nebeneinander angebracht waren, daß man kaum die Hand durchstecken konnte, erkannte er indessen, daß sie zum Kai hinunterfuhren.
Bald sah er durch die Gitterstäbe die Lichter der Hafenwachen glänzen.
Der Wagen hielt, der Gefreite stieg ab und ging nach der Wache; ein Dutzend Soldaten traten heraus und stellten sich, eine Gasse bildend, auf. Dantès sah im Lichte der Kailaternen ihre Gewehre blitzen.
Sollten alle diese Soldaten meinetwegen aufgeboten sein? fragte er sich.
Der Gefreite schloß die Tür des Wagens auf, die beiden Gendarmen vom Vordersitz stiegen zuerst aus, dann ließ man Dantès aus-steigen, und darauf folgten die, welche an seiner Seite gesessen hatten. Man marschierte auf ein Boot zu, das ein Matrose des Zollamts an einer Kette am Kai hielt. Die Soldaten sahen Dantès mit dem Ausdruck blöder Neugier vorbeigehen. Gleich darauf saß er im hinteren Teil des Fahrzeugs, wieder zwischen den vier Gendarmen, während der Gefreite vorn blieb. Ein heftiger Stoß entfernte das Boot vom Ufer, vier Ruderer brachten es schnell vorwärts. Auf einen Ruf vom Boot aus sank die Kette, die den Hafen verschloß, und Dantès befand sich außerhalb des Hafens.
Die erste Empfi ndung des Gefangenen, als er sich im Freien befunden, war Freude gewesen. Freie Luft ist fast so viel wie Freiheit; er atmete sie mit vollen Zügen. Bald jedoch stieß er einen Seufzer aus; er kam an jener »Réserve« vorbei, wo er noch an
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