Der Graf von Monte Christo 2
Brust gerissen habe!«
A W
Als Mercedes gegangen war, wurde es wieder dunkel um Monte Christo; sein wacher Geist erschlaff te wie der Körper nach einer großen Anstrengung.
Oh, sagte er sich, während die. Lampen und Kerzen traurig her-abbrannten und die Diener mit Ungeduld im Vorzimmer warteten, da stürzt das Gebäude, das ich mit so viel Mühe und Sorgen langsam aufgebaut habe, mit einem Schlag zusammen! Nicht den Verlust des Daseins bedaure ich, denn was ist der Tod? Ruhe und Frieden.
Nein, nicht das Leben bedaure ich, sondern das Fehlschlagen meiner Pläne. Die Vorsehung, die ich für sie glaubte, war also gegen sie ; Gott wollte also nicht, daß sie ausgeführt würden!
Und alles dies, fuhr er fort, weil mein Herz, das ich tot glaubte, nur betäubt war, weil es wieder erweckt worden ist durch die Stimme einer Frau! Und doch ist es unmöglich, daß diese Frau, deren Herz so edel ist, die Absicht hat, mich töten zu lassen; ihre Mutterliebe kann sie unmöglich so weit verblenden. Nein, sie wird sich irgendeine rührende Szene ausgedacht haben, wird sich zwischen die Säbel werfen, und das wird, so erhaben ihr Auftritt hier war, drau-
ßen lächerlich sein!
Die Röte des Stolzes stieg dem Grafen ins Gesicht.
Und die Lächerlichkeit wird auf mich zurückfallen … Ich lä-
cherlich! Oh, lieber sterben! Ich bin es der Ehre meines Andenkens schuldig, daß die Welt erfährt, daß ich aus freiem Willen meinen schon zum Treff en erhobenen Arm habe sinken und mich selbst habe treff en lassen!
Er ergriff eine Feder, nahm aus dem geheimen Fach seines Schreibtisches ein Papier, das nichts anderes war als sein schon bei seiner Ankunft in Paris gemachtes Testament, und schrieb eine Art Kodizill, in dem er die Umstände seines Todes klarlegte.
»Ich tue dies, mein Gott«, sagte er, den Blick nach oben richtend,
»ebensosehr für deine Ehre als für die meine. Seit zehn Jahren habe ich mich als den Sendboten deiner Rache betrachtet, und es sollen nicht andere Elende wie dieser Morcerf, es soll nicht ein Danglars, ein Villefort, auch nicht dieser Morcerf selbst, sich einbilden, daß der Zufall sie von ihrem Feinde befreit habe. Sie sollen wissen, daß die Vorsehung, die bereits ihre Bestrafung beschlossen hatte, einzig und allein durch die Macht meines Willens gehemmt worden ist und daß die Züchtigung, die ihnen in dieser Welt erspart geblieben ist, sie in der andern erwartet.«
Unterdessen begann der Tag bleich durch die Fenster zu scheinen; es war fünf Uhr morgens. Plötzlich drang ein leichtes Geräusch an sein Ohr. Er glaubte einen verhaltenen Seufzer gehört zu haben. Er blickte sich um, es war niemand im Zimmer. Das Geräusch wiederholte sich ziemlich deutlich. Monte Christo stand auf und öff -
nete vorsichtig die Tür des Salons. In einem Lehnstuhl, das schöne Haupt zurückgeneigt, saß Haidee, die sich vor die Tür gesetzt hatte, so daß er sie beim Herauskommen sehen mußte, aber vom Schlaf überwältigt worden war. Monte Christo betrachtete sie mit einem Blick voll Zärtlichkeit und Bedauern. Mercedes hat sich erinnert, daß sie einen Sohn hat, sagte er sich, und ich habe vergessen, daß ich eine Tochter habe! Er schüttelte traurig den Kopf. Arme Haidee!
Sie hat mich sehen wollen, sie hat erraten, daß etwas vorging … Oh, ich kann nicht scheiden, ohne ihr Lebewohl zu sagen, kann nicht sterben, ohne sie jemand anzuvertrauen!
Er ging an seinen Platz zurück und fügte dem vorher Geschriebenen noch folgendes hinzu:
»Ich vermache Maximilian Morrel, Hauptmann der Spahis und Sohn meines früheren Patrons, des Schiff sreeders Pierre Morrel zu Marseille, die Summe von zwanzig Millionen, wovon er einen Teil seiner Schwester Julie und seinem Schwager Emanuel geben wird, falls er nicht glaubt, daß diese Vergrößerung ihres Vermögens ihr Glück beeinträchtigen könne. Diese zwanzig Millionen befi nden sich in meiner Grotte auf der Insel Monte Christo, deren Geheimnis Bertuccio bekannt ist.
Wenn sein Herz frei ist und er Haidee, die Tochter Ali Paschas von Janina, heiraten will, die ich mit der Liebe eines Vaters erzogen habe und die für mich die Zärtlichkeit einer Tochter gehabt hat, so wird er, ich will nicht sagen meinen letzten Willen, aber meinen letzten Wunsch erfüllen.
Vorstehendes Testament hat Haidee schon zur Erbin meines übrigen Vermögens gemacht, das in Güterbesitz, englischen, österreichischen und holländischen Anleihen und Mobiliar in meinen
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