Der Graf von Monte Christo 2
habe, Ihnen zu sagen: Schonen Sie meinen Sohn!«
»Und wer hat Ihnen gesagt, daß ich Ihrem Sohn etwas tun wollte?«
»Niemand, aber einer Mutter ist es gegeben, das Kommende vor-auszusehen. Ich habe alles erraten, bin ihm heute abend in die Oper gefolgt und habe, in einer Parterreloge verborgen, alles gesehen.«
»Wenn Sie alles gesehen haben, so haben Sie also gesehen, daß der Sohn Ferdinands mich öff entlich beschimpft hat?« sagte Monte Christo mit schrecklicher Ruhe.
»Oh, Barmherzigkeit!«
»Sie haben gesehen«, fuhr der Graf fort, »daß er mir seinen Handschuh ins Gesicht geworfen hätte, wenn einer meiner Freunde, Herr Morrel, ihm nicht den Arm festgehalten hätte.«
»Hören Sie mich an. Mein Sohn hat Sie gleichfalls durchschaut; er schreibt Ihnen das Unglück zu, das seinen Vater getroff en hat.«
»Gnädige Frau«, sagte Monte Christo, »Sie verwechseln die Begrif-fe; nicht ein Unglück hat Herrn Morcerf getroff en, sondern die Strafe.«
»Und warum wollen Sie der Vollstrecker sein?« rief Mercedes. »Was geht Sie Janina und sein Wesir an? Welches Unrecht hat Ferdinand Mondego Ihnen getan, als er Ali Tebelin verriet?«
»Ganz recht, das ist eine Angelegenheit zwischen dem fränkischen Offi zier und der Tochter Vasilikis und geht mich nichts an«, antwortete Monte Christo, »und wenn ich geschworen habe, mich zu rächen, so galt es weder dem fränkischen Offi zier noch dem Grafen von Morcerf: Es galt dem Fischer Ferdinand, dem Gatten der Katalonierin Mercedes.«
»Oh«, rief die Gräfi n, »welche schreckliche Rache für eine Schuld, die das Verhängnis mich hat begehen lassen! Denn ich bin die Schuldige, Edmund, und wenn Sie an jemand Rache zu nehmen haben, so bin ich’s, der die Kraft gefehlt hat, ihre Verlassenheit zu ertragen, während Sie abwesend waren.«
»Aber warum war ich abwesend«, fragte Monte Christo, »warum waren Sie verlassen?«
»Weil man Sie gefangenhielt, Edmund.«
»Und warum war ich gefangen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Mercedes.
»Nein, Sie wissen es nicht; ich hoff e es wenigstens. Nun wohl, ich will es Ihnen sagen. Ich wurde ins Gefängnis geworfen, weil einen Tag vor unsrer festgesetzten Hochzeit in der Laube der ›Réserve‹
ein Mann namens Danglars diesen Brief geschrieben hatte, den der Fischer Ferdinand auf die Post gab.«
Monte Christo ging an einen Schreibtisch, zog eine Schublade heraus und entnahm ihr ein vergilbtes Papier. Er hielt die verblaß-
ten Schriftzüge Mercedes vor die Augen. Es war der Brief Danglars’
an den Staatsanwalt, den Monte Christo, als er unter der Maske eines Beauftragten des Hauses Th
omson und French Herrn von
Boville zweihunderttausend Franken ausgezahlt hatte, den Akten über Edmund Dantès entnommen hatte.
Mercedes las den Brief mit Entsetzen.
»Oh, mein Gott!« sagte sie, indem sie mit der Hand über die Stirn fuhr. »Und dieser Brief …«
»Ich habe ihn mit zweihunderttausend Franken bezahlt«, entgegnete Monte Christo; »aber das ist noch billig, da er es mir heute er-möglicht, mich in Ihren Augen zu rechtfertigen.«
»Und die Folge dieses Briefes?«
»Sie wissen es, es war meine Festnahme; aber Sie wissen nicht, wie lange meine Gefangenschaft gedauert hat; wissen nicht, daß ich vierzehn Jahre eine Viertelmeile von Ihnen entfernt in einem Verlies des Schlosses If zugebracht habe; wissen nicht, daß ich jeden Tag dieser vierzehn Jahre das Rachegelübde erneuert habe, das ich am ersten Tag getan hatte; und dennoch wußte ich nicht, daß Sie Ferdinand geheiratet hatten und daß mein Vater Hungers gestorben war!«
»Gerechter Gott!« rief Mercedes wankend.
»Aber das erfuhr ich, als ich nach vierzehn Jahren aus dem Ge-fängnis kam, und da habe ich bei der lebenden Mercedes und meinem toten Vater geschworen, mich an Ferdinand zu rächen, und ich räche mich.«
»Und Sie sind sicher, daß der unglückliche Ferdinand dies getan hat?«
»Bei meiner Seele, er hat es getan. Übrigens, ist es nicht viel schlimmer, daß er als französischer Staatsangehöriger zu den Engländern übergegangen ist, daß er als geborener Spanier gegen die Spanier gekämpft hat, daß er als Söldling Alis diesen verraten und ermordet hat? Was ist solchen Dingen gegenüber der Brief, den Sie eben gelesen haben? Eine kleine Verleumdung aus Liebe, die, das begreife ich, die Frau, die diesen Mann geheiratet hat, vergeben muß, die aber der Geliebte nicht vergibt, der sie heiraten wollte. Nun wohl, die Franzosen haben sich nicht an dem
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