Der Graf von Monte Christo 2
kann, der vor einem andern Manne erröten muß!«
»Albert, mein Kind«, sagte Mercedes, »wenn mein Herz stärker gewesen wäre, hätte ich dir diesen Rat gegeben; dein Gewissen hat gesprochen, als meine Stimme schwieg; höre auf dein Gewissen, mein Sohn. Du hattest Freunde, Albert, brich mit ihnen, aber verzweifl e nicht. Das Leben ist noch schön, wenn man zweiundzwanzig Jahre alt ist; und da du einen makellosen Namen brauchst, nimm den meines Vaters an; er hieß Herrera. Ich kenne dich, mein Albert; welche Laufbahn du auch einschlägst, du wirst in kurzer Zeit diesen Namen berühmt machen. Dann erscheine wieder in der Welt, glänzender noch durch dein früheres Unglück; und wenn es nicht so sein soll, trotz aller meiner Voraussicht, so laß mir wenigstens diese Hoff nung, mir, die ich nur noch diesen einen Gedanken haben werde, mir, die ich keine Zukunft mehr habe und für die an der Schwelle dieses Hauses das Grab beginnt.«
»Ich werde nach Ihren Wünschen handeln, Mutter«, sagte der junge Mann; »ja, ich teile Ihre Hoff nungen. Der Zorn des Himmels wird uns nicht verfolgen, denn wir sind beide schuldlos. Aber da wir entschlossen sind, lassen Sie uns schnell handeln, Herr von Morcerf hat das Haus vor einer halben Stunde verlassen; die Gelegenheit ist günstig, um Lärm und Auseinandersetzungen zu vermeiden.«
»Ich erwarte dich, mein Sohn«, sagte Mercedes. Albert eilte auf die Straße und kam mit einer Droschke zurück; er erinnerte sich einer kleinen Fremdenpension in der Rue des Saints-Pères, wo seine Mutter eine bescheidene, aber anständige Wohnung fi nden würde.
Dorthin wollte er sie bringen.
In dem Augenblick, da die Droschke vor der Tür hielt und Albert ausstieg, trat ein Mann an ihn heran und übergab ihm einen Brief.
Albert erkannte den Verwalter des Grafen von Monte Christo.
»Vom Grafen«, sagte Bertuccio.
Albert nahm den Brief und las ihn. Als er gelesen hatte, sah er sich nach Bertuccio um, aber dieser war schon wieder verschwunden.
Tränen in den Augen und die Brust von Bewegung geschwellt, ging Albert zu Mercedes und reichte ihr, ohne ein Wort zu sagen, den Brief. Mercedes las:
»Albert!
Indem ich Ihnen zeige, daß ich den Plan, den auszuführen Sie im Begriff stehen, kenne, glaube ich Ihnen auch zu zeigen, daß ich mich auf Zartgefühl verstehe. Sie sind frei, Sie verlassen das Haus des Grafen und wollen sich mit Ihrer Mutter zurückziehen, die frei ist wie Sie; aber bedenken Sie, Albert, Sie sind ihr mehr schuldig, als Sie, armes edles Herz, ihr vergelten können. Nehmen Sie Kampf und Leiden auf sich, aber ersparen Sie ihr das Elend, das Ihre ersten Bemühungen unvermeidlich begleiten wird; denn sie verdient nicht den Schatten von dem Unglück, das sie heute triff t, und ich will nicht, daß die Unschuld für den Schuldigen leide.
Ich weiß, daß Sie beide das Haus in der Rue du Helder verlassen werden, ohne irgend etwas mitzunehmen. Machen Sie sich keine Gedanken darüber, wie ich es erraten habe. Ich weiß es eben. Nun hören Sie, Albert:
Vor vierundzwanzig Jahren kehrte ich frohen Muts in mein Vaterland zurück. Ich hatte eine Braut, ein reines junges Mädchen, das ich anbetete, und ich brachte hundertfünfzig Louisdors mit, die ich mir durch mühe-volle Arbeit erworben hatte. Dieses Geld war für sie bestimmt; und da ich die Treulosigkeit des Meeres kannte, hatte ich unsern Schatz in dem kleinen Garten des Hauses, das mein Vater in den Allées de Meilhan in Marseille bewohnte, vergraben. Ihre Mutter kennt dieses Häuschen.
Als ich jüngst nach Paris reiste, habe ich Marseille berührt und dieses Haus mit seinen schmerzlichen Erinnerungen besucht; abends habe ich in dem Winkel nachgegraben, wo ich meinen Schatz versteckt hatte.
Die eiserne Kassette war noch an demselben Platz, sie war von niemand berührt worden. Sie befi ndet sich an der Stelle des Gartens, wo ein von meinem Vater am Tag meiner Geburt gepfl anzter Feigenbaum steht.
Nun wohl, Albert, ein seltsamer und schmerzlicher Zufall fügt es, daß dieses Geld, das ehemals für das Leben und die Ruhe derjenigen, die ich anbetete, bestimmt war, heute wieder demselben Zweck dienen soll. Verstehen Sie mich recht, der ich dieser Armen Millionen anbieten könnte und ihr nur das Stück schwarzes Brot gebe, das seit dem Tag, da ich für immer von ihr getrennt wurde, unter meinem armen Dach vergessen worden ist.
Sie sind ein edler Mann, Albert, aber vielleicht sind Sie von Stolz oder Empfi ndlichkeit verblendet. Wenn Sie
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