Der Graf von Monte Christo 2
Kampf den Vater nicht hatte sehen wollen, dessen Ehre er zu rächen unternahm, war begreifl ich. Aber warum kam der Sohn jetzt, da die Ehre des Vaters gerächt war, nicht, um sich in seine Arme zu werfen?
Da war es, daß der Graf den Bedienten Alberts rufen ließ und Albert diesem gesagt hatte, er brauche nichts zu verheimlichen.
Zehn Minuten darauf sah man den General von Morcerf auf der Freitreppe erscheinen; er hatte off enbar vorher seine Befehle gegeben, denn kaum hatte er die letzte Stufe der Freitreppe erreicht, als sein Wagen vorfuhr. Sein Kammerdiener kam und legte zwei in einen Militärmantel gehüllte Degen in den Wagen, machte den Schlag zu und setzte sich zu dem Kutscher. Dieser beugte sich herab und fragte nach dem Ziel.
»Zu den Champs-Elysées«, sagte der General, »zum Grafen von Monte Christo. Schnell!«
Fünf Minuten darauf hielt der Wagen vor dem Haus des Grafen.
Herr von Morcerf öff nete selbst den Schlag, sprang aus dem Wagen, während er noch in Bewegung war, klingelte und verschwand mit seinem Diener in der Tür. Eine Sekunde darauf meldete Baptistin seinem Herrn den Grafen von Morcerf.
Der General schritt zum drittenmal den Salon in seiner ganzen Länge ab, als er, sich umwendend, Monte Christo auf der Schwelle stehen sah.
»Ah, wirklich Herr von Morcerf«, sagte Monte Christo ruhig; »ich glaubte falsch gehört zu haben.«
»Ja, ich bin’s selbst«, entgegnete der General, dessen Lippen verzerrt waren, so daß die Worte nur abgebrochen hervorkamen.
»Ich brauche also jetzt nur noch zu erfahren, was mir das Vergnü-
gen verschaff t, den Herrn Grafen von Morcerf zu so früher Stunde bei mir zu sehen«, sagte Monte Christo.
»Sie haben heute morgen ein Zusammentreff en mit meinem Sohn gehabt?« fragte der General.
»Sie wissen das?« antwortete der Graf.
»Ich weiß auch, daß mein Sohn gute Gründe hatte, sich mit Ihnen zu schlagen und alles zu tun, um Sie zu töten.«
»In der Tat, er hatte sehr gute Gründe; aber Sie sehen, daß er mich trotz dieser guten Gründe nicht getötet hat und sich sogar überhaupt nicht geschlagen hat.«
»Und dennoch betrachtete er Sie als den Urheber der Schande seines Vaters, als den Anstifter des furchtbaren Unglücks, das in diesem Augenblick mein Haus heimsucht.«
»Das ist richtig, mein Herr«, sagte Monte Christo mit seiner schrecklichen Ruhe, »als die Neben-, aber nicht als die Hauptur-sache.«
»Jedenfalls haben Sie ihm Abbitte getan oder eine Erklärung gegeben?«
»Ich habe ihm durchaus keine Erklärung gegeben, und er hat mir Abbitte getan.«
»Aber welcher Ursache schreiben Sie dieses Betragen zu?«
»Der Überzeugung; wahrscheinlich war bei der Sache jemand mehr schuldig als ich.«
»Und wer war dieser Jemand?«
»Sein Vater.«
»Sei es«, sagte der General erbleichend; »aber Sie wissen, daß der Schuldige es nicht liebt, sich der Schuld überführen zu hören.«
»Ich weiß es … Ich erwartete deshalb das, was in diesem Augenblick eintritt.«
»Sie erwarteten, daß mein Sohn ein Feigling sei!« rief der General.
»Herr Albert von Morcerf ist kein Feigling«, antwortete Monte Christo.
»Ein Mann, der einen Degen in der Hand hält und vor diesem Degen seinen Todfeind, ist ein Feigling, wenn er sich nicht schlägt!
Warum ist er nicht hier, daß ich ihm das sagen könnte!«
»Ich glaube nicht, mein Herr«, antwortete Monte Christo kalt,
»daß Sie hierhergekommen sind, um mir Ihre Familienangelegen-heiten zu erzählen. Sagen Sie das Herrn Albert, vielleicht wird er Ihnen zu antworten wissen.«
»O nein, nein«, entgegnete der General mit einem Lächeln, das sofort wieder verschwand, »Sie haben recht, deshalb bin ich nicht hierhergekommen! Ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen, daß auch ich Sie als meinen Feind betrachte, daß ich Sie hasse, daß mir ist, als hätte ich Sie immer gekannt, immer gehaßt! Kurz, daß, da die jungen Leute sich in unserem Jahrhundert nicht mehr schlagen, es an uns ist, uns zu schlagen … Ist das Ihre Meinung, mein Herr?«
»Vollkommen, und wenn ich vorhin sagte, daß ich auf das, was geschieht, gefaßt gewesen sei, so meinte ich die Ehre Ihres Besuchs.«
»Um so besser … Ihre Vorbereitungen sind also getroff en?«
»Das sind sie immer.«
»Sie wissen, daß einer von uns auf dem Platz bleiben muß?« fragte der General, der vor Wut die Zähne aufeinanderbiß.
»Daß einer von uns auf dem Platz bleiben muß«, wiederholte Monte Christo mit leichtem Kopfnicken.
»Dann lassen Sie uns
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