Der Graf von Monte Christo 2
schwerfälligen Wagens. Er stürzte ins Schlafzimmer, um noch einmal alles, was er auf der Welt geliebt hatte, zu sehen. Aber die Droschke fuhr davon, ohne daß der Kopf Mercedes’ oder der Alberts am Schlag erschienen wäre, um dem einsamen Haus, dem Vater und verlassenen Gatten einen letzten Blick des Abschieds und der Verzeihung zu gewähren.
In dem Augenblick, wo die Räder der Droschke das Pfl aster des Torwegs erschütterten, ertönte ein Schuß, und ein schwärzlicher Rauch drang durch eine Scheibe aus dem Schlafzimmer des Generals.
D K
Herr von Villefort war in einer Droschke an der Tür des Herrn d’Avrigny vorgefahren; er klingelte so heftig, daß der Portier ganz bestürzt öff nete. Villefort eilte zur Treppe, ohne ein Wort zu sagen; der Portier, der ihn kannte, ließ ihn, ohne Fragen an ihn zu stellen, vorüber. Er rief ihm nur zu: »In seinem Arbeitszimmer, Herr Staatsanwalt, in seinem Arbeitszimmer!«
Villefort stieß schon die Tür zu Herrn d’Avrignys Arbeitszimmer auf.
»Ah, Sie sind’s!« sagte der Doktor.
»Ja«, sagte Villefort, indem er die Tür hinter sich zumachte; »ich bin’s. Doktor, mein Haus ist verfl ucht!«
»Was?« entgegnete der Doktor anscheinend ruhig, aber im Innern aufs tiefste erregt. »Haben Sie wieder einen Kranken?«
»Ja, Doktor!« rief Villefort, indem er sich ins Haar faßte, »ja!«
Der Blick d’Avrignys besagte: Ich hatte es Ihnen ja gesagt! Dann sagte er langsam: »Wer stirbt denn bei Ihnen, und welches neue Opfer wird uns vor Gott der Schwäche anklagen?«
Ein schmerzhaftes Schluchzen entrang sich dem Herzen Villeforts; er näherte sich dem Arzt, erfaßte dessen Arm und sagte: »Valentine!
Die Reihe ist an Valentine!«
»Ihre Tochter?« rief d’Avrigny voll Schmerz und Überraschung.
»Sie sehen, daß Sie sich getäuscht haben«, sagte der Staatsanwalt;
»kommen Sie mit und bitten Sie es ihr auf ihrem Schmerzenslager ab, daß Sie sie in Verdacht gehabt haben.«
»Jedesmal, wenn Sie mir Mitteilung gemacht haben, war es zu spät«, entgegnete d’Avrigny; »doch einerlei, ich komme; lassen Sie uns eilen, bei den Feinden in Ihrem Haus ist keine Zeit zu verlieren.«
»Oh, diesmal, Doktor, sollen Sie mir nicht mehr meine Schwäche vorwerfen; diesmal werde ich den Mörder entdecken und gegen ihn vorgehen.«
»Versuchen wir das Opfer zu retten, ehe wir daran denken, es zu rächen«, sagte d’Avrigny. »Kommen Sie!«
Beide fuhren in der Droschke, die Villefort hergeführt hatte, im Trab nach dessen Wohnung.
Zu derselben Zeit klopfte Morrel an die Tür Monte Christos. Der Graf war in seinem Arbeitszimmer und las sorgenvoll eine kurze Mitteilung, die Bertuccio ihm in Eile geschickt hatte. Als er Morrel anmelden hörte, der ihn vor kaum zwei Stunden verlassen hatte, hob er den Kopf. Für Morrel sowohl wie für den Grafen hatte sich jedenfalls in diesen beiden Stunden viel ereignet, denn der junge Mann, der den Grafen lächelnd verlassen hatte, kam in größter Bestürzung zurück. Der Graf eilte Morrel entgegen.
»Was gibt es denn, Maximilian?« fragte er ihn. »Sie sind bleich, und Ihre Stirn ist schweißbedeckt.«
Morrel sank mehr, als daß er sich setzte, auf einen Stuhl.
»Ich bin schnell zurückgekommen«, sagte er, »ich mußte mit Ihnen sprechen.«
»Es sind doch in Ihrer Familie alle wohl?« fragte der Graf in lie-bevollem Ton, über dessen Aufrichtigkeit niemand im Zweifel gewesen wäre.
»Danke, Graf, danke«, antwortete der junge Mann, der sichtlich in Verlegenheit war, wie er die Unterhaltung einleiten sollte; »ja, in meiner Familie ist alles wohl.«
»Um so besser; aber Sie haben mir etwas zu sagen?« fragte der Graf, mehr und mehr beunruhigt.
»Ja«, antwortete Morrel; »ich komme aus einem Haus, wo der Tod eingekehrt ist.«
»Kommen Sie von Herrn von Morcerf?« fragte Monte Christo.
»Nein«, antwortete Morrel; »ist bei Herrn von Morcerf jemand gestorben?«
»Der General hat sich soeben erschossen.«
»Oh, welch furchtbares Unglück!« rief Morrel.
»Nicht für die Gräfi n, noch für Albert«, sagte Monte Christo;
»besser ein toter Vater und Gatte als ein entehrter; das Blut wird die Schande abwaschen.«
»Die arme Gräfi n!« sagte Maximilian. »Sie beklage ich besonders, eine so edle Frau!«
»Beklagen Sie auch Albert, Maximilian; denn glauben Sie mir, er ist der würdige Sohn der Gräfi n. Aber kommen wir auf Sie zurück; Sie sagen, Sie müßten mit mir sprechen; sollten Sie meiner
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