Der Graf von Monte Christo 2
Bewegung.
»Und Sie können nicht leugnen«, fuhr Villefort fort, indem er die Hand nach ihr ausstreckte, wie um sie im Namen des Gesetzes zu ergreifen; »Sie haben die einzelnen Verbrechen mit einer schamlosen Geschicklichkeit vollbracht, die jedoch nur die täuschen konnte, die aus Liebe blind waren. Seit dem Tode der Frau von Saint-Méran habe ich gewußt, daß mein Haus einen Giftmischer birgt; Herr d’Avrigny hatte mich gewarnt; nach Barrois’ Tod hat sich mein Verdacht, Gott verzeihe mir’s, auf einen Engel gelenkt, mein Verdacht, der selbst da, wo kein Verbrechen vorliegt, unaufhörlich im Grund meines Herzens wach ist; aber nach Valentines Tod gab es für mich keinen Zweifel mehr, und nicht nur für mich, sondern auch für andre; so wird Ihr Verbrechen, das jetzt zwei Personen bekannt ist und von mehreren vermutet wird, off enbar werden, und wie ich Ihnen sagte, nicht der Gatte spricht mehr zu Ihnen, sondern der Richter!«
Die junge Frau verbarg ihr Gesicht in beiden Händen. »O Villefort!«
stammelte sie. »Ich beschwöre Sie, trauen Sie dem Scheine nicht!«
»Und nun sind Sie feige!« rief Villefort verächtlich. »In der Tat, ich habe immer bemerkt, daß Giftmischer feige sind. Nun sind Sie feige, obwohl Sie den schändlichen Mut hatten, drei alte Leute und ein junges Mädchen, von Ihnen dahingemordet, den Geist aufgeben zu sehen?«
»Villefort, Villefort!«
»Nun sind Sie feige«, fuhr Villefort mit wachsender Erregung fort,
»Sie, die Sie bei vier Sterbenden die Minuten des Todeskampfes gezählt, die Sie mit höllischer Berechnung Ihre Pläne entworfen und mit einer wunderbaren Geschicklichkeit und Genauigkeit Ihre Tränke gemischt haben? Sollten Sie, die Sie alles so gut zu berechnen wußten, eins in Rechnung zu ziehen vergessen haben: wohin Sie Ihre Verbrechen führen könnten? Oh, das ist unmöglich! Sie haben irgendein süßes Gift, noch tödlicher als die andern, aufbewahrt, um der Strafe zu entgehen, die Ihnen zukäme … Sie haben das getan, ich hoff e es wenigstens.«
Frau von Villefort rang die Hände und sank in die Knie.
»Ich weiß wohl … ich weiß wohl«, sagte er, »Sie gestehen; aber das Geständnis vor dem Richter, das Geständnis im letzten Augenblick, wenn nichts mehr zu leugnen ist, dieses Geständnis mildert nicht die Strafe, die er dem Schuldigen auferlegt!«
»Die Strafe!« rief Frau von Villefort. »Die Strafe! Sie haben dieses Wort zweimal ausgesprochen.«
»Gewiß. Weil Sie vierfach schuldig sind, glauben Sie ihr zu entgehen? Weil Sie die Frau dessen sind, der diese Strafe beantragt, haben Sie geglaubt, daß sie ausbleiben würde? Nein, nein! Wer sie auch sei, das Schafott wartet der Giftmischerin, wenn sie, wie ich eben gesagt habe, nicht die Vorsorge getroff en hat, einige Tropfen ihres sicheren Giftes für sich aufzubewahren.«
Frau von Villefort stieß einen wilden Schrei aus; das Entsetzen malte sich auf ihren entstellten Zügen.
»Oh, fürchten Sie nicht das Schafott«, sagte der Staatsanwalt, »ich will Sie nicht entehren, denn das hieße mich selbst entehren; nein, im Gegenteil, wenn Sie mich verstanden haben, so müssen Sie begreifen, daß Sie nicht auf dem Schafott sterben können.«
»Nein, ich habe nicht begriff en; was wollen Sie sagen?« stammelte die unglückliche Frau vollständig vernichtet.
»Ich will sagen, daß die Frau des ersten Beamten der Hauptstadt einen fl eckenlosen Namen nicht mit ihrer Schande bedecken und zugleich ihren Gatten und ihr Kind entehren wird.«
»Nein! O nein!«
»Nun wohl, das wird eine gute Tat von Ihnen sein, und für diese gute Tat danke ich Ihnen.«
»Sie danken mir, und wofür?«
»Für das, was Sie soeben gesagt haben.«
»Was habe ich denn gesagt? Mein Kopf ist wirr; ich begreife nichts mehr, mein Gott, mein Gott!« Und sie stand auf, ihr Haar war aufgelöst, der Mund schäumte.
»Sie haben mir auf die Frage nicht geantwortet, die ich an Sie richtete, als ich eintrat: Wo ist das Gift, dessen Sie sich zu bedienen pfl egen?«
Frau von Villefort hob die Arme zum Himmel und rang krampfhaft die Hände.
»Nein, nein, nein«, schrie sie; »nein, das können Sie nicht wollen!«
»Ich will nicht, daß Sie auf dem Schafott enden, verstehen Sie?«
antwortete Villefort.
»Gnade!«
»Ich will, daß Gerechtigkeit geschehe. Ich bin auf der Erde, um zu strafen«, fügte er mit fl ammendem Blick hinzu. »Jeder andern, und wäre es einer Königin, würde ich den Henker schicken; aber mit Ihnen will ich barmherzig
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