Der Graf von Monte Christo 2
höfl ichsten Manieren, »wie Sie meine innersten Gedanken erraten haben; in der Tat habe ich Sie eben zu diesem Zweck gebeten, von der Reihenfolge Ihrer Fragen abzugehen.«
Das Staunen stieg aufs höchste; die Worte des Angeklagten hatten nichts Prahlendes und Zynisches mehr; die erregten Zuhörer ahn-ten einen Gewitterstrahl in dieser fi nstern Wolke.
»Nun«, sagte der Präsident, »Ihr Name?«
»Meinen Namen kann ich Ihnen nicht sagen, denn ich weiß ihn nicht; aber ich weiß den meines Vaters, und den kann ich Ihnen nennen.«
Es zog wie eine Blendung über Villeforts Augen; man sah von seinen Wangen Schweißtropfen auf die Papiere fallen, die er mit krampfhafter Hand hin- und herwandte.
»Dann der Name Ihres Vaters«, fuhr der Präsident fort.
Kein Atemzug störte die Stille dieser gewaltigen Versammlung; alles wartete.
»Mein Vater ist Staatsanwalt«, antwortete Andrea ruhig.
»Staatsanwalt!« rief voll Befremden der Präsident, ohne die Erschütterung auf dem Gesicht Villeforts zu bemerken.
»Staatsanwalt!«
»Ja, und da Sie seinen Namen wissen wollen, will ich ihn nennen: Er heißt von Villefort!«
Der solange aus Respekt vor dem Gericht zurückgehaltene Unmut machte sich plötzlich aus der Brust eines jeden Luft; die Richter selbst dachten nicht daran, diese Bewegung der Menge zu unterdrücken. Die Ausrufungen, die Verwünschungen gegen Benedetto, der ganz kaltblütig blieb, die drohenden Gebärden, die Bewegung der Gendarmen, alles das dauerte fünf Minuten, ehe die Richter und Gerichtsdiener die Ruhe wiederhergestellt hatten.
Dann hörte man die Stimme des Präsidenten: »Wollen Sie sich über das Gericht lustig machen, Angeklagter? Sollten Sie es wagen, Ihren Mitbürgern das Schauspiel einer Verderbnis zu geben, die noch nicht ihresgleichen gehabt hätte?«
Zehn Personen beschäftigten sich mit dem Staatsanwalt, der halb vernichtet dasaß, und sprachen ihm Trost und Mut zu.
Die Ruhe war im Saal wiederhergestellt, mit Ausnahme jedoch einer Stelle, wo eine ziemlich zahlreiche Gruppe sich bewegte und fl ü-
sterte. Es hieß, eine Dame sei ohnmächtig geworden; man hatte sie Riechsalz einatmen lassen, und sie war wieder zu sich gekommen.
Benedetto hatte während dieses ganzen Tumults sein lächelndes Gesicht der Versammlung zugewandt. Dann stützte er sich mit der einen Hand auf das eichene Geländer der Anklagebank und sagte mit eleganter Haltung: »Meine Herren, Gott bewahre mich davor, den Gerichtshof zu beleidigen und vor dieser ehrenwerten Versammlung einen unnützen Skandal aufzuführen. Man fragt mich, wie alt ich sei, ich sage es; man fragt mich, wo ich geboren sei, ich antworte; man fragt mich nach meinem Namen, den kann ich nicht sagen, da meine Eltern mich verlassen haben. Aber ich kann wohl, ohne meinen Namen zu nennen, da ich keinen habe, den Namen meines Vaters nennen: Nun, ich wiederhole, mein Vater ist Herr von Villefort, und ich bin bereit, es zu beweisen.«
Es lag in dem Ton des jungen Mannes eine Sicherheit, eine Überzeugung und Energie, die Stillschweigen hervorrief. Die Blicke wandten sich einen Augenblick zum Staatsanwalt, der unbeweglich in seinem Stuhl saß, als wäre er von einem Blitz getötet worden.
»Meine Herren«, fuhr Benedetto mit einer Handbewegung und einem Ton fort, die bewirkten, daß alle ihm lautlos zuhörten, »ich bin Ihnen den Beweis und die Aufklärung meiner Worte schuldig.«
»Sie haben aber«, rief der Präsident, »in der Untersuchung erklärt, daß Sie sich Benedetto nennen, und haben sich für eine Waise und einen Korsen ausgegeben.«
»In der Untersuchung habe ich gesagt, was mir paßte; denn ich wollte nicht, daß man den feierlichen Klang, den ich meinen Worten geben wollte, abschwächte oder hemmte, was unfehlbar eingetreten wäre.
Jetzt wiederhole ich Ihnen, daß ich zu Auteuil in der Nacht vom siebenundzwanzigsten auf den achtundzwanzigsten September
geboren bin und daß ich der Sohn des Herrn Staatsanwalts von Villefort bin. Wollen Sie nun Einzelheiten haben?
Ich werde sie Ihnen geben.
Ich bin im ersten Stock des Hauses Nummer in der Rue de la Fontaine geboren, in einem mit rotem Damast tapezierten Zimmer.
Mein Vater nahm mich auf den Arm, indem er meiner Mutter sagte, ich sei tot, wickelte mich in eine mit einem H und einem N gezeichnete Serviette und trug mich in den Garten, wo er mich lebend vergrub.«
Ein Beben ging durch die Versammelten, als sie sahen, daß die Sicherheit des Angeklagten mit dem
Weitere Kostenlose Bücher