Der Graf von Monte Christo 2
Schrecken des Herrn von Villefort zunahm.
»Aber woher wissen Sie alle diese Einzelheiten?« fragte der Präsident.
»Ich werde es Ihnen sagen, Herr Präsident. In dem Garten, wo mich mein Vater vergraben hatte, befand sich in derselben Nacht ein Korse, der ihm seit langem aufl auerte, um sich an ihm zu rächen.
Der Mann war in einem Dickicht versteckt, er sah meinen Vater etwas vergraben und stieß ihn bei dieser Arbeit mit dem Messer nieder; da er das Vergrabene für einen Schatz hielt, grub er es wieder aus und fand mich. Dieser Mann brachte mich in das Findelhaus, wo ich unter Nummer eingetragen wurde. Ein Vierteljahr später machte seine Schwester die Reise von Rogliano nach Paris, um mich zu holen, reklamierte mich als ihren Sohn und nahm mich mit.
So wurde ich, obgleich in Auteuil geboren, in Korsika erzogen.«
Es herrschte einen Augenblick lang so tiefes Schweigen, daß man den Saal für leer halten konnte.
»Fahren Sie fort«, sagte die Stimme des Präsidenten.
»Gewiß«, fuhr Benedetto fort, »ich hätte glücklich sein können bei den braven Leuten, die mich anbeteten; aber mein schlechter Charakter trug über alle Tugenden, die meine Adoptivmutter mir ins Herz einzupfl anzen suchte, den Sieg davon. Ich wuchs auf im Bösen und bin zum Verbrecher geworden. Endlich, eines Tages, als ich Gott fl uchte, daß er mich so schlecht gemacht und mir ein so häßliches Schicksal verliehen hatte, sagte mein Adoptivvater zu mir: ›Lästere nicht, Unglücklicher! Denn Gott hat dir ohne Zorn das Leben gegeben. Das Verbrechen kommt von deinem Vater und nicht von dir; von deinem Vater, der dich der Hölle geweiht hat, wenn du stürbest, und dem Elend, wenn ein Wunder dir das Leben wiedergäbe!‹
Seitdem habe ich aufgehört, Gott zu lästern, aber ich habe meinen Vater verfl ucht; und deshalb habe ich hier die Worte hören lassen, die Sie mir vorgeworfen haben, Herr Präsident; deshalb habe ich den Skandal verursacht, über den diese Versammlung noch zittert.
Wenn es ein Verbrechen mehr ist, so bestrafen Sie mich; aber wenn ich Sie überzeugt habe, daß von meiner Geburt an mein Schicksal verhängnisvoll, schmerzlich, bitter, bejammernswert gewesen ist, so beklagen Sie mich!«
»Aber Ihre Mutter?« fragte der Präsident.
»Meine Mutter hielt mich für tot; meine Mutter ist nicht schuldig. Ich habe den Namen meiner Mutter nicht erfahren wollen und kenne ihn nicht.«
In diesem Augenblick ertönte aus der Mitte der Gruppe, in der vor kurzem eine Dame ohnmächtig geworden war, ein heftiger Schrei, der in einem Schluchzen endete.
Die Dame bekam einen Nervenanfall und wurde aus dem Gerichts-saal getragen; dabei verschob sich der Schleier, der ihr Gesicht verbarg, und man erkannte Frau Danglars.
Trotz der Erschlaff ung seiner Sinne, trotz des Sausens, das seine Ohren füllte, trotz der Art Wahnsinns, die sein Gehirn zerrüttete, erkannte Villefort sie und erhob sich.
»Die Beweise, die Beweise!« sagte der Präsident. »Angeklagter, denken Sie daran, daß dieses Gewebe von Abscheulichkeiten von den überzeugendsten Beweisen unterstützt werden muß.«
»Die Beweise?« fragte Benedetto lachend. »Die Beweise wollen Sie haben?«
»Ja.«
»Nun denn, sehen Sie Herrn von Villefort an, und dann verlangen Sie noch Beweise von mir!«
Alle sahen auf den Staatsanwalt, der unter dem Gewicht dieser tausend auf ihn gehefteten Blicke vor den Richtertisch trat, taumelnd, die Haare in Unordnung, die Eindrücke seiner Nägel auf dem Gesicht.
In der Versammlung war ein langgedehntes Murmeln des Erstaunens hörbar.
»Man fordert von mir Beweise, Vater«, sagte Benedetto, »soll ich sie geben?«
»Nein, nein«, stammelte Villefort mit erstickter Stimme; »nein, das ist unnötig.«
»Wie, unnötig?« rief der Präsident. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Ich will sagen«, rief der Staatsanwalt, »daß ich mich vergebens gegen die tödliche Umklammerung, die mich zermalmt, wehren würde. Keine Beweise; es ist unnötig: Alles, was dieser junge Mann gesagt hat, ist wahr.«
Ein fi nsteres, schwüles Schweigen folgte; den Anwesenden sträub-te sich das Haar.
»Wie, Herr von Villefort«, rief der Präsident, »Sie geben nicht einer Halluzination nach? Sie sind vollständig bei Sinnen? Man wür-de es begreifl ich fi nden, daß eine so seltsame, so unerwartete und schreckliche Anklage Ihren Geist getrübt hat. Fassen Sie sich.«
Der Staatsanwalt schüttelte den Kopf. Seine Zähne klapperten wie im Fieber, und dennoch war
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