Der Graf von Monte Christo 2
Südfrankreich, in Marseille oder in der Gegend glaube ich, erzogen worden. Sie fi nden ihn voll Begeisterung.«
»Worüber?« fragte die Baronin.
»Über die Französinnen, gnädige Frau. Er will durchaus eine Pariserin heiraten.«
»Eine nette Idee!« warf Danglars schulterzuckend ein.
Frau Danglars sah ihren Mann mit einem Ausdruck an, der in jedem andern Augenblick ein Gewitter geweissagt hätte; aber sie schwieg.
»Der Herr Baron scheint heute sehr mißgestimmt zu sein«, bemerkte Monte Christo zu Frau Danglars; »will man ihn vielleicht zum Minister machen?«
»Nein, noch nicht, soviel ich weiß. Ich glaube vielmehr, er hat an der Börse gespielt und verloren und weiß nun nicht, an wem er seinen Ärger auslassen soll.«
»Herr und Frau von Villefort!« rief Baptistin.
Die Angemeldeten traten ein. Herr von Villefort war trotz seiner Selbstbeherrschung sichtlich erregt. Als Monte Christo seine Hand berührte, fühlte er, wie sie zitterte.
In der Verstellung tut’s doch keiner den Frauen gleich! dachte Monte Christo, während er Frau Danglars ansah, die dem Staatsanwalt zu-lächelte und dessen Frau küßte.
Nachdem die ersten Begrüßungen ausgetauscht waren, bemerkte der Graf auf einmal, wie Bertuccio, der bis jetzt in den Wirtschafts-räumen beschäftigt gewesen war, in einen anstoßenden kleinen Salon trat. Er ging zu ihm.
»Was wollen Sie, Herr Bertuccio?« fragte er.
»Eure Exzellenz haben mir nicht die Anzahl der Tischgäste gesagt.
Wieviel Gedecke?«
»Zählen Sie selbst!«
»Ist die Gesellschaft vollzählig, Exzellenz?«
»Jawohl.«
Bertuccio sah durch die halbgeöff nete Tür; Monte Christo beobachtete ihn aufmerksam.
»Ach, mein Gott!« rief Bertuccio.
»Was denn?« fragte der Graf.
»Die Dame da …! Die Dame da!«
»Welche?«
»Die in dem weißen Kleid mit den vielen Diamanten! … Die Blondine!«
»Frau Danglars?«
»Ich weiß nicht, wie sie heißt. Aber das ist sie, Herr Graf, das ist sie.«
»Wer denn?«
»Die Frau aus dem Garten! Die Schwangere! Die da spazierenging und wartete …«
Bertuccio stand da, bleich, mit gesträubtem Haar und off enem Mund.
»Nun, auf wen wartete?«
Bertuccio zeigte, ohne zu antworten, mit dem Ausdruck des Entsetzens auf Villefort.
»Oh! oh!« murmelte er endlich, »sehen Sie?«
»Wen denn? Wen denn?«
»Den!«
»Den …! Herrn Staatsanwalt von Villefort meinen Sie?«
»Ich habe ihn also nicht getötet?«
»Ich glaube, Sie werden verrückt, mein lieber Bertuccio«, sagte der Graf.
»Er ist also nicht tot?«
»Nein, Sie sehen es ja; Sie werden ihn statt zwischen der sechsten und siebenten Rippe, wie es bei Ihren Landsleuten Mode ist, höher oder tiefer getroff en haben, und Leute von der Justiz haben ein zä-
hes Leben; oder was Sie mir erzählt haben, ist nichts weiter als ein Traum, eine Halluzination gewesen. Nun, kommen Sie wieder zu sich und zählen Sie! Herr und Frau von Villefort, zwei; Herr und Frau Danglars, vier: Herr von Château-Renaud, Herr Debray, Herr Morrel, sieben: Herr Major Bartolomeo Cavalcanti, acht.«
»Acht!« wiederholte Bertuccio.
»Warten Sie! Warten Sie doch! Sie haben es doch verteufelt eilig fortzukommen. Sie haben noch einen Gast vergessen … sehen Sie etwas nach links … Herr Andrea Cavalcanti, der junge Mann im schwarzen Frack vor der ›Jungfrau‹ von Murillo … der sich eben umdreht.«
Diesmal wollte Bertuccio einen Schrei ausstoßen, aber der Blick Monte Christos hemmte ihn.
»Benedetto!« murmelte er ganz leise. »O Verhängnis!«
»Da schlägt es halb sieben, Herr Bertuccio«, sagte der Graf streng;
»um diese Stunde sollte zu Tisch gegangen werden; Sie wissen, daß ich es nicht liebe zu warten.«
Monte Christo kehrte zu seinen Gästen in den Salon zurück, während Bertuccio in den Speisesaal wankte.
Fünf Minuten darauf öff neten sich die Flügeltüren des Salons, Bertuccio erschien und meldete, daß gedeckt sei. Monte Christo bot Frau von Villefort den Arm.
»Herr von Villefort«, sagte er, »führen Sie bitte die Frau Baronin Danglars.«
Villefort tat es, und man begab sich in den Speisesaal.
Frau Danglars hatte eine Bewegung gemacht, als sie Herrn von Villefort auf die Auff orderung Monte Christos hin sich ihr nähern sah, um ihr den Arm anzubieten, und der Blick des Herrn von Villefort war unter der goldenen Brille unruhig geworden, als er den Arm der Baronin in dem seinen fühlte. Keine dieser beiden Bewegungen war dem Grafen entgangen.
Das Mahl war prachtvoll; man hätte
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