Der Graf von Monte Christo 2
sich in die arabische Mär-chenwelt versetzt fühlen können.
»Was ich am meisten bewundere«, sagte Château-Renaud, »ist die Schnelligkeit, mit der Sie bedient werden. Haben Sie dieses Haus nicht erst vor fünf oder sechs Tagen gekauft, Herr Graf?«
»Länger ist es noch nicht her«, antwortete Monte Christo.
»Nun, ich bin sicher, daß in diesen paar Tagen eine vollständige Umwandlung mit dem Haus vor sich gegangen ist; denn wenn ich mich nicht irre, hatte es einen andern Eingang, und der Hof war gepfl astert und leer.«
»Was wollen Sie?« entgegnete Monte Christo. »Ich liebe das Grün und den Schatten.«
»In der Tat«, sagte Frau von Villefort, »früher trat man durch eine Tür nach der Straße ein, und an dem Tag meiner Rettung bin ich, wie ich mich erinnere, von der Straße aus ins Haus gekommen.«
»Jawohl, gnädige Frau«, antwortete Monte Christo; »aber seitdem habe ich einen Eingang machen lassen, von wo ich durch das Gitter einen Ausblick auf das Bois de Boulogne habe.«
»In vier Tagen, das ist ein Wunder!« meinte Morrel.
»In der Tat, es grenzt ans Wunderbare, aus einem alten Hause so schnell ein neues zu machen«, sagte Château-Renaud; »denn das Haus war sehr alt und sehr düster. Ich erinnere mich, daß ich es im Auftrag meiner Mutter besichtigt habe, als Herr Saint-Méran es vor zwei oder drei Jahren zum Verkauf stellte.«
»Herr von Saint-Méran?« fragte Frau von Villefort. »Das Haus hat also Herrn von Saint-Méran gehört, ehe Sie es gekauft haben?«
»Es scheint so«, antwortete Monte Christo.
»Wieso, Sie wissen nicht, von wem Sie das Haus gekauft haben?«
»Wahrhaftig, nein, um diese Dinge kümmert sich mein Verwalter.«
»Es war wenigstens seit zehn Jahren nicht bewohnt«, sagte Château-Renaud, »und machte mit seinen geschlossenen Jalousien und Türen und dem wuchernden Unkraut im Hof einen unheimlichen Eindruck. Wahrhaftig, hätte es nicht dem Schwiegervater eines Staatsanwalts gehört, so hätte man es für eines jener verwunsche-nen Häuser halten können, in denen ein großes Verbrechen begangen worden ist.«
Villefort, der bisher noch keins der drei oder vier Gläser Wein, die vor ihm standen, berührt hatte, nahm eines und leerte es auf einen Zug.
Monte Christo ließ einen Augenblick verstreichen, dann sagte er inmitten des Stillschweigens, das den Worten Château-Renauds gefolgt war: »Es ist seltsam, Herr Baron, aber derselbe Gedanke ist mir gekommen, als ich es zum erstenmal betreten habe; das Haus erschien mir so unheimlich, daß ich es nie gekauft hätte, wenn mein Verwalter es nicht für mich erworben hätte. Wahrscheinlich hatte er ein Trinkgeld von dem Notar erhalten.«
»Wahrscheinlich«, stammelte Villefort, indem er sich bemühte zu lächeln; »aber glauben Sie, daß ich mit dieser Bestechung nichts zu tun habe. Herr von Saint-Méran wünschte, daß dieses Haus, das einen Teil der Mitgift seiner Enkelin ausmacht, verkauft werde, weil es verfallen wäre, wenn es noch drei oder vier Jahre unbewohnt geblieben wäre.«
Morrel wurde blaß.
»Besonders ein Zimmer«, fuhr Monte Christo fort, »ein dem Äußern nach einfaches, mit rotem Damast tapeziertes Zimmer, kam mir, ich weiß nicht warum, im höchsten Grade dramatisch vor.«
»Warum dramatisch?« fragte Debray.
»Kann man sich derartige Gefühle erklären?« entgegnete Monte Christo. »Gibt es nicht Orte, die einen ganz von selbst traurig stimmen? Weshalb? Man weiß es nicht. Es ist eine Verkettung von Erinnerungen, eine Laune des Gedächtnisses, die uns in andre Zeiten, an andre Orte versetzt, die mit dem Ort, an dem wir uns befi nden, vielleicht gar nichts gemein haben; genug, das Zimmer erinnert mich merkwürdig an das Zimmer der Marquise von Granges oder der Desdemona. Aber da wir gespeist haben, muß ich es Ihnen zeigen, dann gehen wir zum Kaff ee in den Garten; nach dem Diner das Schauspiel.«
Frau von Villefort erhob sich, Monte Christo tat desgleichen, und alle folgten ihrem Beispiel.
Villefort und Frau Danglars blieben einen Augenblick wie an ihren Platz genagelt; sie befragten sich mit den Augen, kalt, stumm, eisig.
»Haben Sie gehört?« sagte Frau Danglars.
»Wir müssen gehen«, antwortete Villefort, indem er aufstand und ihr den Arm bot.
Alle waren schon, von Neugier getrieben, in die anderen Zimmer getreten, denn man nahm mit Recht an, daß sich der Besuch nicht auf jenes eine Zimmer beschränken werde und man zugleich den Rest dieses Hauses besichtigen werde, aus dem Monte
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