Der Graf von Monte Christo 2
ließ.
»Mir kommt es nicht auf den Ruhm an, in einem schönen Wagen zu sitzen«, sagte er; »nein, ich bin nur müde, und dann habe ich auch ein bißchen geschäftlich mit dir zu sprechen.«
»Nun, steigen Sie auf«, sagte der junge Mann.
Es war schade, daß es nicht Tag war, denn es wäre ein seltsames Schauspiel gewesen, diesen Bettler breitspurig neben dem eleganten jungen Führer des Tilbury sitzen zu sehen.
Andrea ließ das Pferd bis an das letzte Haus des Orts traben, ohne ein Wort mit seinem Begleiter zu sprechen, der seinerseits lächelte und Stillschweigen bewahrte, als ob er entzückt wäre, in einem so schönen Gespann zu fahren.
Als sie außerhalb Auteuils waren, sah Andrea sich um, jedenfalls um sich zu versichern, daß sie von niemand gesehen oder gehört würden; dann hielt er das Pferd an, kreuzte vor dem Mann mit dem roten Tuch die Arme und sagte: »Warum, zum Teufel, kommen Sie und stören mich in meiner Ruhe?«
»Aber du selbst, mein Junge, warum hast du Mißtrauen gegen mich?«
»Und wieso habe ich Mißtrauen gegen Sie gezeigt?«
»Wieso? Du fragst noch? Wir trennen uns am Pont du Var, du sagst mir, du willst nach Piemont und Toskana, und statt dessen kommst du nach Paris.«
»Inwiefern stört Sie das?«
»In nichts; im Gegenteil, ich hoff e sogar, daß es mir dienlich sein wird.«
»Ha, ha!« entgegnete Andrea, »das heißt, Sie spekulieren auf mich.«
»Na, na, da kommen die Grobheiten.«
»Damit würden Sie sich nämlich verrechnen, Meister Caderousse, das sage ich Ihnen vorher.«
»Mein Gott, reg dich nicht auf, Kleiner, du mußt doch wissen, was Unglück ist; nun gut, das Unglück macht neidisch. Ich glaubte, du streichst in Piemont und Toskana umher, und bedauerte dich in tiefster Seele, daß du genötigt bist, den Facchino oder Cicerone zu machen, wie ich mein Kind bedauern würde. Du weißt, daß ich dich immer mein Kind genannt habe.«
»Nun, und?«
»Geduld doch, Brausekopf.«
»Ich bin geduldig; weiter!«
»Und ich sehe dich plötzlich an der Barriere in einem Tilbury vorbeifahren, mit einem Diener und in nagelneuen Kleidern. Zum Teufel! Du hast also eine Mine entdeckt oder bist Bankier geworden?«
»So daß Sie also neidisch sind, wie Sie zugeben?«
»Nein, ich bin zufrieden, so zufrieden, daß ich dir gratulieren wollte, Kleiner; aber da ich nicht ordentlich Toilette gemacht hatte, so habe ich meine Vorsichtsmaßregeln getroff en, um dich nicht zu kompromittieren.«
»Schöne Vorsichtsmaßregeln!« entgegnete Andrea. »Mich da vor meinem Bedienten anzureden!«
»Ei, was willst du, Kleiner! Ich rede dich an, wenn ich dich zu fassen kriegen kann. Du hast ein schnelles Pferd, einen sehr leichten Wagen und bist glitschig wie ein Aal; hätte ich dich heute abend verpaßt, so hätte ich dich vielleicht nie wieder getroff en.«
»Sie sehen doch, daß ich mich nicht verstecke.«
»Da bist du sehr gut dran, und ich möchte, ich könnte dasselbe von mir sagen; ich verstecke mich. Dann fürchtete ich auch, daß du mich nicht erkennen würdest; aber du hast mich erkannt«, setzte Caderousse mit seinem bösen Lächeln hinzu »Na ja, du bist ein netter Kerl.«
»Nun, und was wollen Sie?« fragte Andrea.
»Du duzt mich nicht mehr, das ist schlecht von dir, Benedetto …
einen alten Kameraden; nimm dich in acht, du machst mich anspruchsvoll.«
Diese Drohung dämpfte den Zorn des jungen Mannes, der sein Pferd wieder in Trab setzte.
»Es ist schlecht von dir, Caderousse«, sagte er, »dich so gegen einen alten Kameraden, wie du eben sagtest, zu benehmen; du bist Marseiller, ich bin …«
»Du weißt also, was du jetzt bist?«
»Nein, aber ich bin in Korsika groß geworden; du bist alt und ei-gensinnig; ich bin jung und starrköpfi g. Zwischen Leuten wie wir sind Drohungen schlecht am Platze, und alles muß in Ruhe und Freundschaft erledigt werden. Ist es meine Schuld, wenn ich Glück habe und du nicht?«
»Das Glück ist dir also günstig? Der Reitknecht, der Tilbury und die Kleider, die wir da haben, sind also nicht geliehen? Gut, um so besser!« sagte Caderousse, dessen Augen vor Habsucht funkelten.
»Oh, du siehst es ja und weißt es, da du mich anredest«, antwortete Andrea, der immer erregter wurde. »Hätte ich so ein Tuch wie du um den Kopf, einen schmierigen Kittel auf dem Leib und zerrissene Stiefel an, würdest du mich nicht erkennen wollen.«
»Siehst du, daß du mich verachtest, Kleiner, das ist unrecht von dir; jetzt, wo ich dich wiedergefunden habe,
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