Der Graf von Monte Christo 2
Die Hand Andreas kam waff enlos wieder aus der Tasche und streichelte einige Augenblicke den roten Schnurrbart.
»Mein lieber Caderousse«, sagte Andrea lauernd, »du wirst also glücklich sein?«
»Ich werde mein möglichstes tun«, antwortete der frühere Schank-wirt, indem er sein Messer wieder zuklappte.
»Nun, dann nach Paris. Aber wie willst du es anfangen, die Barriere zu passieren, ohne Verdacht zu erregen? Mir scheint, du riskierst in deinem Kostüm zu Wagen mehr als zu Fuß.«
»Warte«, sagte Caderousse, »du wirst sehen.«
Er nahm den Hut des jungen Mannes, warf den Kutschermantel um, den der Diener auf dem Wagen zurückgelassen hatte, und nahm die Haltung eines Bedienten aus gutem Hause an, dessen Herr selbst fährt.
»Und ich«, fragte Andrea, »soll ich barhaupt bleiben?«
»Oh, es ist so windig, daß du wohl den Hut verloren haben kannst«, entgegnete Caderousse.
»Dann vorwärts, machen wir der Sache ein Ende!«
»Wer hält dich auf?« fragte Caderousse. »Ich doch hoff entlich nicht?«
»Pst!« machte Andrea.
Sie fuhren ohne Zwischenfall durch die Barriere. Bei der ersten Querstraße hielt Andrea sein Pferd an, und Caderousse sprang ab.
»Nun, und der Mantel meines Bedienten und mein Hut?« fragte Andrea.
»Oh, du willst mich doch nicht der Gefahr aussetzen, mir den Schnupfen zu holen?«
»Aber ich?«
»Du bist jung, während ich anfange alt zu werden; auf Wiedersehen, Benedetto!«
Damit verschwand er in der Gasse.
»Ach«, sagte Andrea, »man kann nicht vollkommen glücklich sein auf dieser Welt!«
H
Danglars war beim Grafen von Monte Christo vorgefahren. Der Graf war zu Hause, er hatte aber Besuch und ließ Danglars bitten, einen Augenblick zu warten.
Während der Bankier wartete, trat ein Mann in der Kleidung eines Abbés ein, der, anstatt gleich ihm zu warten, ihn grüßte und dann in den Gemächern verschwand.
Einen Augenblick später öff nete sich die Tür, durch die der Abbé eingetreten war, und Monte Christo erschien.
»Entschuldigen Sie, lieber Baron«, sagte er, »aber ein guter Freund von mir, der Abbé Busoni, den Sie wohl durchs Zimmer haben gehen sehen, ist soeben in Paris angekommen; wir hatten uns sehr lange nicht gesehen, und ich mochte ihn nicht sogleich verlassen. Ich hoff e, daß Sie mir verzeihen werden, daß ich Sie habe warten lassen.«
»Oh«, sagte Danglars, »ich habe eben den Augenblick schlecht ge-wählt und werde mich zurückziehen.«
»Durchaus nicht; setzen Sie sich doch bitte. Aber, mein Gott, was haben Sie denn? Sie sehen bekümmert aus; wirklich, Sie erschrek-ken mich. Ein sorgenvoller Kapitalist sagt gleich den Kometen der Welt immer ein großes Unglück voraus.«
»Ich habe seit mehreren Tagen nur Unglück und bekomme eine schlechte Nachricht nach der andern«, antwortete Danglars.
»Haben Sie einen Rückschlag an der Börse gehabt?«
»Nein, davon bin ich geheilt, wenigstens für einige Tage. Es handelt sich für mich um einen Bankrott in Triest.«
»So? Wäre Ihr Bankrotteur vielleicht Jacopo Manfredi?«
»Jawohl. Denken Sie sich, ein Mann, der, ich weiß nicht wie lange schon, jährlich für acht- bis neunhunderttausend Franken Geschäfte mit mir machte. Nie ist irgend etwas vorgekommen; ein Mann, der wie ein Prinz zahlte … Ich gebe ihm eine Million Kredit, und da stellt dieser Kerl seine Zahlungen ein!«
»Was Sie sagen!«
»Ein unerhörtes Mißgeschick! Ich stelle einen Wechsel von sechs-hunderttausend Franken auf ihn aus, der unbezahlt zurückkommt, und dazu bin ich noch Inhaber von vierhunderttausend Franken von ihm unterzeichneter Wechsel, die am Ende des Monats bei seinem Pariser Korrespondenten fällig sind. Wir haben den Dreißigsten, ich lasse die Wechsel präsentieren; ja, prost Mahlzeit! Der Korrespondent ist verschwunden. Das macht mit meiner spanischen Aff äre einen schönen Monatsschluß.«
»Aber ist denn Ihre spanische Geschichte in der Tat ein Verlust?«
»Gewiß, ein Verlust von baren fünfhunderttausend Franken.«
»Aber wie kommen Sie, ein alter, gewiegter Börsianer, zu solchem Reinfall?«
»Das ist die Schuld meiner Frau. Sie hat geträumt, daß Don Carlos nach Spanien zurückgekehrt sei; sie glaubt an Träume. Das ist Magnetismus, wie sie sagt, und wenn sie etwas träumt, so muß das, wie sie versichert, unfehlbar eintreff en. Auf ihre Überzeugung hin habe ich ihr erlaubt zu spekulieren. Allerdings ist es nicht mein Geld, mit dem sie spekuliert, sondern das ihre.
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