Der Graf von Monte Christo 2
was er wollte. Alles war in ihren Augen ver-
ändert, und jetzt war es ihr weniger schwer zu glauben, daß sie Maximilian heiraten würde, als es ihr vor einer Stunde gewesen war, nicht zu glauben, daß sie Franz heiraten würde.
Währenddessen hatte sich Frau von Villefort zu Herrn Noirtier hinaufbegeben. Dieser empfi ng sie so fi nster und streng, wie er ihr gegenüber immer war.
»Ich habe nicht nötig«, sagte sie, »Ihnen zu sagen, daß die Verbindung zwischen Valentine und Herrn von Epinay abgebrochen ist, da dieser Bruch hier stattgefunden hat.«
Noirtier blieb unbeweglich.
»Aber was Sie nicht wissen«, fuhr sie fort, »ist, daß ich stets gegen diese Heirat gewesen bin.«
Noirtier sah seine Schwiegertochter an wie jemand, der eine Erklärung erwartet.
»Jetzt, wo diese Heirat, mit der Sie nicht einverstanden waren, aufgegeben ist, tue ich bei Ihnen einen Schritt, den weder mein Mann noch Valentine tun können.«
Die Augen Noirtiers fragten, was das für ein Schritt sei.
»Ich komme, um Sie zu bitten«, fuhr Frau von Villefort fort, »als die einzige, die ein Recht dazu hat, denn ich bin die einzige, die keinen Nutzen davon hat; ich komme, um Sie zu bitten, Ihrer Enkelin, ich will nicht sagen, Ihre Liebe – die hat sie ja immer behalten –, aber Ihr Vermögen wiederzugeben.«
Die Augen Noirtiers blieben einen Augenblick ungewiß; er suchte jedenfalls nach den Beweggründen dieses Schrittes und fand sie nicht.
»Kann ich hoff en«, fragte Frau von Villefort, »daß Ihre Absichten mit der Bitte, die ich ausgesprochen habe, übereinstimmen?«
»Ja«, bekundete Noirtier.
»Dann ziehe ich mich dankbar und zugleich glücklich zurück.«
Und indem sie Herrn Noirtier eine Verbeugung machte, entfernte sie sich.
In der Tat ließ Noirtier am andern Tag den Notar kommen; das erste Testament wurde zerrissen und ein andres ausgefertigt, in dem er sein ganzes Vermögen Valentine vermachte, unter der Bedingung, daß sie nicht von ihm getrennt würde.
Einige Personen berechneten dann, daß Fräulein von Villefort als Erbin des Marquis und der Marquise von Saint-Méran und ihres Großvaters Noirtier eines Tages über ungefähr dreihunderttausend Livres Rente verfügen werde.
Am folgenden Tag erschien Barrois, der alte Diener des Herrn Noirtier, bei Morrel und bestellte, daß sein Herr ihn bitten lasse, sofort zu ihm zu kommen. Maximilian eilte mit dem Diener zu dem Villefortschen Haus. Barrois ließ ihn durch die Nebentür eintreten, und bald darauf kam Valentine.
Das junge Mädchen war in den Trauerkleidern zum Entzücken schön. Der Traum wurde so süß, daß Morrel von der Unterhaltung mit Noirtier ganz gern abgesehen hätte, aber es dauerte nicht lange, so wurde der Greis in seinem Stuhl ins Zimmer gefahren.
Noirtier nahm mit wohlwollendem Blick den Dank des jungen Mannes für sein wunderbares Dazwischentreten, das sie, Valentine und ihn, vor der Verzweifl ung gerettet habe, entgegen, dann sah er seine Enkelin an, die schüchtern neben Morrel saß.
»Ich soll also sagen, was du mir aufgetragen hast?« fragte sie.
»Ja«, bekundete Noirtier.
»Maximilian«, sagte Valentine zu dem jungen Mann, der kein Auge von ihr ließ, »Großpapa hat mir tausenderlei gesagt, das ich Ihnen mitteilen soll; heute hat er Sie holen lassen, damit ich es Ihnen, ohne ein Wort daran zu ändern, wiederhole. Großpapa will dieses Haus verlassen; Barrois befaßt sich damit, ihm eine passende Wohnung zu suchen.«
»Aber Sie«, sagte Morrel, »Sie, die Sie ihm so teuer und notwendig sind?«
»Ich«, fuhr das junge Mädchen fort, »werde Großpapa nicht verlassen, das ist zwischen ihm und mir abgemacht; meine Wohnung wird die seine sein. Entweder gibt nun mein Vater seine Einwilligung dazu, daß ich zu Großpapa ziehe, oder er schlägt es ab; im ersten Falle verlasse ich sofort das Haus, im andern warte ich, bis ich in zehn Monaten mündig sein werde. Dann bin ich frei, habe ein unabhängiges Vermögen und …«
»Und …?« fragte Morrel.
»Und werde mit der Einwilligung Großpapas das Versprechen, das ich Ihnen gegeben habe, halten.«
Valentine sprach die letzten Worte so leise, daß Morrel sie nicht hätte verstehen können, wäre er nicht mit ganzer Seele bei dem Gespräch gewesen.
»Habe ich alles so wiedergegeben, wie du es wünschst, Großpapa?«
fragte Valentine den Greis.
»Ja«, bekundete dieser.
»Bin ich einmal bei meinem Großpapa«, fuhr Valentine fort, »so können Sie mich in seiner Gegenwart besuchen.
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