Der Graf von Monte Christo 2
von Vincennes«, sagte Beauchamp, der nicht wußte, ob er es mit einem Prahler oder einem übernatürlichen Wesen zu tun hatte.
»Gut, mein Herr«, entgegnete Monte Christo. »Jetzt, da alles gere-gelt ist, lassen Sie mich, bitte, die Vorstellung hören und sagen Sie Ihrem Freund Albert, daß er heute abend nicht wiederkomme; er würde sich mit seinen geschmacklosen Auftritten nur in schlechtes Licht setzen. Lassen Sie ihn nach Hause gehen und schlafen.«
Beauchamp entfernte sich erstaunt.
»Jetzt«, sagte Monte Christo, indem er sich zu Morrel wandte,
»rechne ich auf Sie, nicht wahr?«
»Gewiß«, entgegnete Morrel, »Sie können über mich verfügen, Graf; indessen …«
»Was?«
»Es wäre wichtig, daß ich den wahren Grund erführe …«
»Das heißt, Sie schlagen es mir ab?«
»Nein.«
»Der wahre Grund?« sagte der Graf. »Dieser junge Mann selbst kennt ihn nicht. Nur ich kenne ihn und Gott kennt ihn; aber ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, Morrel, daß Gott, der ihn kennt, für uns sein wird.«
»Das genügt«, entgegnete Morrel. »Wer ist Ihr zweiter Zeuge?«
»Ich kenne in Paris niemand, dem ich diese Ehre antun will, als Sie und Ihren Schwager Emanuel. Glauben Sie, daß er mir diesen Dienst erweisen wird?«
»Ich bürge Ihnen für ihn wie für mich.«
»Gut, weiter ist nichts nötig. Morgen früh um sieben Uhr in meiner Wohnung, nicht wahr?«
»Wir werden dort sein.«
»Pst! Der Vorhang geht auf, lassen Sie uns zuhören. Ich pfl ege nie eine Note von dieser Musik zu verlieren; eine herrliche Oper, dieser ›Wilhelm Tell‹!«
D N
Der Graf von Monte Christo wartete nach seiner Gewohnheit, bis Duprez sein berühmtes »Folge mir!« gesungen hatte; dann erhob er sich und ging. Vor der Tür verabschiedete er sich ruhig und lä-
chelnd von Morrel, stieg in seinen Wagen und war fünf Minuten darauf zu Hause. Als er eintrat, sagte er zu Ali:
»Ali, die Pistolen mit den Elfenbeinkolben!«
Ali brachte seinem Herrn den Kasten, und Monte Christo, der dabei war, sein Leben aufs Spiel zu setzen, prüfte sie sorgfältig. Es waren besonders gearbeitete Pistolen, die der Graf sich hatte machen lassen, um in seinen Gemächern nach der Scheibe zu schießen. Ein Zündhütchen genügte, um die Kugel aus dem Lauf zu treiben; im Nebenzimmer war schon nichts mehr davon zu hören.
Er suchte eben sein Ziel auf einer kleinen Blechplatte, die ihm als Scheibe diente, da wurde die Tür seines Arbeitszimmers geöff net und Baptistin trat ein. Aber ehe er noch den Mund geöff net hatte, bemerkte der Graf durch die off en gebliebene Tür im Halbdunkel des Nebenzimmers eine verschleierte Dame, die Baptistin gefolgt war. Die Dame hatte die Pistole in der Hand des Grafen und zwei Säbel auf einem Tisch bemerkt; mit einer schnellen Bewegung trat sie ins Zimmer. Baptistin befragte seinen Herrn mit dem Blick; der Graf machte ein Zeichen, Baptistin ging und schloß die Tür hinter sich.
»Wer sind Sie, meine Gnädige?« fragte der Graf die Verschleierte.
Die Unbekannte warf einen Blick umher, wie um sich zu vergewis-sern, daß sie allein waren, dann neigte sie sich, als ob sie hätte nie-derknien wollen, faltete die Hände und sagte mit dem Ausdruck der Verzweifl ung: »Edmund, Sie werden meinen Sohn nicht töten!«
»Welchen Namen haben Sie da ausgesprochen, Frau von Morcerf?«
fragte der Graf.
»Den Ihren!« rief sie, indem sie ihren Schleier zurückwarf, »den Ihren, den vielleicht ich allein nicht vergessen habe. Edmund, nicht Frau von Morcerf kommt zu Ihnen, sondern Mercedes.«
»Mercedes ist tot, gnädige Frau«, sagte Monte Christo, »und ich kenne niemand dieses Namens mehr.«
»Mercedes lebt, und Mercedes erinnert sich, denn sie allein hat Sie erkannt, als sie Sie gesehen hat, ja schon vorher, als sie nur Ihre Stimme gehört hat, und seit dieser Zeit folgt sie Ihnen Schritt für Schritt, überwacht Sie und fürchtet Sie, und sie für ihre Person braucht nicht die Hand zu suchen, die den Streich gegen Herrn von Morcerf geführt hat.«
»Ferdinand wollen Sie sagen, gnädige Frau«, entgegnete Monte Christo mit bitterer Ironie; »da wir einmal dabei sind, unsre Namen wieder hervorzusuchen, so wollen wir sie auch alle hervorsuchen.«
Monte Christo hatte den Namen Ferdinand mit solch einem Ausdruck des Hasses ausgesprochen, daß Mercedes einen Schreckens-schauer durch ihren Körper rieseln fühlte.
»Sie sehen, Edmund, daß ich mich nicht getäuscht habe«, rief Mercedes, »und daß ich recht
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