Der Graf von Monte Christo 2
von den nichtssagenden Redensarten der Gesellschaft unterschied. »Glücklich angekommen? Guten Abend, Herr von Morcerf.« Und das Gesicht dieses Mannes, der so seltsam Herr seiner selbst war, drückte die größte Herzlichkeit aus. Jetzt erst erinnerte sich Morrel des Briefes, den er von dem Vicomte erhalten hatte und worin dieser ihn ohne weitere Erklärung bat, die Oper zu besuchen; er begriff , daß sich etwas Furchtbares ereignen würde.
»Wir kommen nicht hierher, um heuchlerische Höfl ichkeiten oder falsche Freundschaftsbekundungen auszutauschen«, sagte der junge Mann, »sondern um eine Erklärung von Ihnen zu fordern, Herr Graf.«
Die Stimme des jungen Mannes zitterte.
»Eine Erklärung in der Oper?« fragte der Graf mit seiner ruhigen Stimme und seinem durchdringenden Blick. »Sowenig vertraut ich auch mit den Pariser Gewohnheiten bin, so hätte ich doch nicht geglaubt, daß das der Platz wäre, wo man Erklärungen fordert.«
»Wenn sich die Leute aber verleugnen lassen«, antwortete Albert,
»wenn man nicht zu ihnen gelangt, weil sie vorschützen, im Bad, bei Tisch oder im Bett zu sein, so muß man sich da an sie halten, wo man sie fi ndet.«
»Ich bin nicht schwer zu fi nden«, sagte Monte Christo, »denn noch gestern waren Sie, wenn ich ein gutes Gedächtnis habe, bei mir.«
»Gestern«, entgegnete der junge Mann, »war ich bei Ihnen, weil ich nicht wußte, wer Sie waren.«
Bei diesen Worten hatte Albert seine Stimme erhoben, so daß die Leute in den benachbarten Logen ihn hörten, ebenso die im Gang Vorübergehenden. Die ersteren wandten sich um, und die letzteren blieben hinter Beauchamp und Château-Renaud stehen.
»Wo kommen Sie her, mein Herr?« sagte Monte Christo ohne die geringste erkennbare Erregung. »Sie scheinen nicht bei Sinnen zu sein.«
»Wenn ich Ihre Falschheit erkenne und es mir gelingt, Ihnen begreifl ich zu machen, daß ich mich dafür rächen will, so werde ich immer noch vernünftig genug sein«, entgegnete Albert wütend.
»Ich verstehe Sie nicht«, sagte Monte Christo, »und selbst wenn ich Sie verstände, sprächen Sie immer noch zu laut. Ich bin hier bei mir, ich allein habe das Recht, hier lauter zu sprechen als die andern. Gehen Sie!« Und Monte Christo wies mit einer befehlenden Bewegung nach der Logentür.
»Oh, ich werde Sie schon herausbringen!« entgegnete Albert, indem er mit den Händen seinen Handschuh zerdrückte, den der Graf nicht aus den Augen ließ.
»Gut«, sagte Monte Christo gleichmütig; »Sie suchen Streit mit mir, das sehe ich; aber einen Rat gebe ich Ihnen, Vicomte, und merken Sie sich den wohl: Es ist eine schlechte Sitte, beim Herausfordern Lärm zu machen. Das paßt nicht für jeden, Herr von Morcerf.«
Bei diesem Namen ging ein Murmeln des Erstaunens durch die Zuhörer dieses Auftritts; seit gestern war der Name Morcerf in aller Munde.
Albert verstand sofort und besser als alle andern die Anspielung und machte eine Bewegung, um dem Grafen seinen Handschuh ins Gesicht zu werfen; aber Morrel erfaßte seine Hand, während Beauchamp und Château-Renaud in der Besorgnis, daß die Szene über die Grenze einer Herausforderung hinausgehen möchte, ihn von hinten zurückhielten.
Aber Monte Christo streckte, ohne aufzustehen, die Hand aus, nahm dem jungen Mann den feuchten und zerknitterten Handschuh aus der Hand und sagte mit einer furchtbaren Stimme: »Mein Herr, ich nehme Ihren Handschuh als geworfen an und werde ihn um eine Kugel gerollt zurückschicken. Jetzt entfernen Sie sich von hier, oder ich rufe meine Bedienten und lasse Sie hinauswerfen.«
Albert trat zwei Schritte zurück; Morrel benutzte diese Gelegenheit, um die Tür zu schließen.
Monte Christo nahm sein Opernglas und sah sich wieder im Saal um, als ob nichts Besonderes vorgefallen wäre. Dieser Mann hatte ein Herz von Erz und ein Gesicht von Marmor. Morrel beugte sich zu seinem Ohr.
»Was haben Sie ihm getan?« fragte er.
»Ich? Nichts, persönlich wenigstens nicht«, antwortete Monte Christo.
»Dieser sonderbare Auftritt muß doch einen Grund haben.«
»Das Abenteuer des Grafen von Morcerf hat den armen jungen Mann aufgebracht.«
»Haben Sie damit etwas zu tun?«
»Die Kammer ist durch Haidee von dem Verrat seines Vaters unterrichtet worden.«
»In der Tat«, sagte Morrel, »man hat mir gesagt, daß diese griechische Sklavin, mit der ich Sie manchmal hier in der Oper gesehen habe, die Tochter Ali Paschas sei, aber ich habe es nicht glauben wollen.«
»Es ist indessen
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