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Der Graf von Monte Christo

Der Graf von Monte Christo

Titel: Der Graf von Monte Christo Kostenlos Bücher Online Lesen
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die aus Ihrem schönen Lande zu uns kommen? Ein Mensch kann dort ungestraft aus dem Wege geschafft werden? Die Sultane sind in der Tat Harun al Raschids, die nicht nur einem Giftmischer vergeben, sondern ihn sogar zum ersten Minister machen, wenn das Verbrechen geistreich ist?
    Nein, gnädige Frau, das Phantastische besteht nicht einmal mehr im Orient, es gibt auch dort, unter anderen Namen und unter anderen Kostümen Polizeikommissare, Untersuchungsrichter, Staatsanwälte und Sachverständige. Man hängt, man köpft, man spießt dort die Verbrecher nach Herzenslust; aber als gewandte Betrüger wußten diese Leute die menschliche Gerechtigkeit zu vereiteln und sich den Erfolg ihrer Unternehmungen durch geschickte Berechnungen zu sichern. Will bei uns der vom bösen Geist des Hasses oder der Habgier Besessene einen Feind vernichten oder einen Verwandten auf die Seite schaffen, so geht er zum Apotheker, gibt einen falschen Namen an, durch den er leichter entdeckt wird, als durch seinen wahren, und kauft, unter dem Vorwande, Ratten störten ihn im Schlafe, fünf bis sechs Gramm Arsenik. Ist er sehr geschickt, so geht er zu fünf bis sechs Apothekern und wird nun fünf- bis sechsmal leichter erkannt. Besitzt er dann sein spezifisches Mittel, so flößt er seinem Feinde, seinem Verwandten eine Dosis Arsenik ein, wovon ein Mammut umkommen würde, so daß das Opfer ohne alles weitere ein Gebrüll ausstößt, worüber die ganze Gegend in Aufruhr gerät. Dann kommt eine ganze Heerschar von Polizeiagenten und Gendarmen; man schickt nach einem Arzte, der den Toten öffnet und in seinen Eingeweiden das Arsenik mit Löffeln sammelt. Am andern Tag erzählen hundert Zeitungen die Begebenheit, samt dem Namen des Opfers und des Mörders. Schon an demselben Abend kommen die Apotheker und sagen: Ich habe das Arsenik an den Herrn verkauft; und dann wird der einfältige Verbrecher verhaftet, eingekerkert, verhört, konfrontiert, verurteilt und guillotiniert; ist es aber eine Frau von einiger Bedeutung, so wird sie auf Lebenszeit eingesperrt. So verstehen Ihre Nordländer die Chemie, gnädige Frau.
    Was wollen Sie! rief lachend die junge Frau, man tut, was man kann. Nicht alle Welt besitzt das Geheimnis der Medici oder der Borgia.
    Wie ist es aber im Orient, gnädige Frau? Kommen Sie nach Aleppo oder auch nur nach Neapel und Rom, und Sie sehen durch die Straßen aufrechte, frische Menschen schreiten, von denen ihnen der hinkende Teufel sagen könnte: Dieser Herr ist seit drei Wochen vergiftet und wird in einem Monat völlig tot sein.
    Sie haben also das Geheimnis der berüchtigten Aqua Tofana wiedergefunden, von dem man mir in Perugia sagte, es sei verloren gegangen?
    Ei, mein Gott! verliert sich etwas bei den Menschen, gnädige Frau? Die Künste rücken von der Stelle und wandern durch die Welt; die Dinge verändern nur ihren Namen, und der gemeine Haufe läßt sich dadurch täuschen; aber es ist immer dasselbe Resultat. Jedes Gift wirkt besonders auf dieses oder jenes Organ, das eine auf den Magen, das andere auf das Gehirn, und wieder ein anderes auf die Eingeweide. Gut, das Gift bewirkt einen Husten, dieser Husten eine Brustentzündung oder irgend eine andere Krankheit, die im Buche der Wissenschaft eingetragen ist, was sie aber nicht abhält, vollkommen tödlich zu sein. Wäre sie es nicht, so würde sie es durch die Mittel, welche die naiven Ärzte, gewöhnlich sehr schlechte Chemiker, anwenden; und so ist ein Mensch mit Kunst und nach allen Regeln getötet, wogegen die Justiz nichts einzuwenden hat, wie einer meiner Freunde, ein furchtbarer Chemiker, der ausgezeichnete Abbé Adelmonte von Taormina in Sizilien, sagte.
    Das ist schrecklich, aber bewunderungswürdig, ich muß gestehen, ich hielt alle diese Geschichten für Erfindungen des Mittelalters. Es ist ein Glück, sagte Frau von Villefort, daß solche Substanzen nur von Chemikern bereitet werden können, denn, in der Tat, die eine Hälfte der Welt würde die andere vergiften.
    Durch Chemiker oder durch Personen, die sich mit der Chemie beschäftigen, erwiderte mit gleichgültigem Tone Monte Christo.
    Und dann, sagte Frau von Villefort, sich mit aller Gewalt ihren Gedanken entreißend, so geistreich es auch ausgeführt sein mag, so bleibt das Verbrechen doch immer Verbrechen, und wenn es der menschlichen Nachforschung entgeht, so entgeht es nicht dem Auge Gottes. Die Orientalen sind gewissenloser als wir; sie kennen keine Hölle. Bei uns aber bleibt immer das Gewissen noch

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