Der Graf von Monte Christo
der Tat, ein Blick auf das Mädchen erklärte zum Teil Morcerfs Gefühl. Fräulein Danglars war schön, aber von einer etwas starren Schönheit. Ihre Haare waren sehr schwarz, doch in ihren natürlichen Wellen bemerkte man einen gewissen Widerstand gegen die Hand, die ihnen ihren Willen aufnötigen wollte; ihre Augen, schwarz wie die Haare, überwölbt von herrlichen Brauen, die nur den Fehler hatten, daß sie sich zuweilen zusammenzogen, waren besonders merkwürdig durch einen Ausdruck von Festigkeit, den man in dem Blicke eines Mädchens erstaunlich finden mußte. Ihr Mund war etwas groß, aber mit schönen Zähnen geschmückt, welche ihre Lippen noch bedeutend hervorhoben, deren zu lebhaftes Rot von der Blässe ihrer Gesichtsfarbe stark abstach. Ein schwarzes Mal endlich an der Ecke des Mundes verlieh vollends dieser Physiognomie den entschiedenen Charakter, der Morcerf ein wenig erschreckte. Alles übrige an ihr stand indessen im Einklang mit dem Kopf. Sie war, wie Chateau-Renaud sagte, die jagende Diana, nur mit etwas noch Festerem, noch Muskulöserem in ihrer Schönheit.
Ihre Erziehung schien, wie gewisse Züge ihrer Physiognomie, einen mehr männlichen Charakter zu tragen. Sie sprach mehrere Sprachen, zeichnete sehr leicht, machte Verse und komponierte; besonders leidenschaftlich war sie für die Musik eingenommen, die sie mit einer ihrer Freundinnen aus der Pension studierte, einer jungen Person ohne Vermögen, die jedoch alle Anlagen hatte, eine vortreffliche Sängerin zu werden. Ein großer Komponist hegte, wie man sagte, für sie eine mehr als väterliche Teilnahme, und hatte ihr die Hoffnung eingeflößt, sie würde eines Tags ein Kapital in ihrer Stimme finden.
Die Möglichkeit, daß Fräulein Lucie d'Armilly, so hieß die junge Künstlerin, später einmal auf der Bühne auftrat, veranlaßte Fräulein Danglars, wenn sie auch das junge Mädchen bei sich empfing, sich doch nie öffentlich in seiner Gesellschaft zu zeigen. Ohne indessen in dem Hause des Bankiers die unabhängige Stellung einer Freundin der Tochter des Hauses zu haben, nahm Lucie immerhin einen höheren Rang ein, als den einer gewöhnlichen Lehrerin.
Einige Sekunden nach dem Eintritt der Baronin Danglars sahen die jungen Leute, daß das Parterre sich erhoben hatte und aller Augen sich auf einen Punkt richteten; ihre Blicke folgten der allgemeinen Richtung und hafteten an der Loge des ehemaligen russischen Botschafters. Ein Mann in schwarzer Kleidung von etwa vierzig Jahren war mit einer Frau in orientalischem Kostüm eingetreten. Die Frau war von der höchsten Schönheit und das Kostüm auffallend reich.
Ah! rief Albert, es ist Monte Christo mit seiner Griechin.
Es waren wirklich der Graf und Haydee. Nach weniger als einer Minute war die junge Frau der Gegenstand der Aufmerksamkeit des ganzen Saales; die Frauen neigten sich aus ihren Logen heraus, um unter dem Feuer des Kronenleuchters diese Kaskade von Diamanten funkeln zu sehen.
Der zweite Akt ging unter dem dumpfen Geräusche vorüber, das bei versammelten Massen ein großes Ereignis andeutet. Niemand dachte daran, Stillschweigen zu fordern. Diese junge, schöne, blendende Frau war das seltsamste Schauspiel, das man sehen konnte.
Diesmal deutete ein Zeichen von Frau Danglars Albert unzweideutig an, daß er erwartet werde. Sobald der Akt beendigt war, eilte er auf die Vorbühne. Er begrüßte die beiden Frauen und reichte Debray die Hand.
Die Baronin empfing ihn mit reizendem Lächeln und Eugenie mit ihrer gewöhnlichen Kälte.
Meiner Treu, Freund, sagte Debray, Sie sehen in mir einen ganz erschöpften Menschen, der Sie um Hilfe ruft, um wieder zu Kräften zu kommen. Die Frau Baronin drückt mich zu Boden mit Fragen über den Grafen, und ich soll wissen, von wo er ist, woher er kommt und wohin er geht; ich bin, bei Gott, kein Cagliostro, und um mich aus der Klemme zu ziehen, sagte ich: Fragen Sie Morcerf, er kennt seinen Monte Christo an den Fingern auswendig. Hierauf machte man Ihnen ein Zeichen.
Ist es denn glaublich, sagte die Baronin, daß man, wenn man eine halbe Million geheime Fonds zur Verfügung hat, nicht besser unterrichtet ist?
Gnädige Frau, entgegnete Lucien, ich bitte Sie, zu glauben, daß ich, wenn ich eine halbe Million zu meiner Verfügung hätte, sie zu etwas anderem verwenden würde, als über Herrn Monte Christo Erkundigungen einzuziehen, denn in meinen Augen hat er kein anderes Verdienst, als daß er zweimal so reich ist, als ein Nabob. Ich habe meinem
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