Der Graf von Monte Christo
meinen Freunden wieder einzuholen, mit dem ich morgen bei Chapelle-en-Serval jagen soll. Wollen Sie es versuchen?
Mit größtem Vergnügen.
Wenn wir ihn nicht von hier bis Bourget einholen, so bekommen Sie zwanzig Franken, wenn wir ihn bis Louvres nicht einholen, dreißig.
Und wenn wir ihn einholen?
Vierzig! sagte Andrea, der einen Augenblick gezögert hatte, dann aber bedachte, daß er dabei nichts wage.
Gut! rief der Kutscher. Also vorwärts!
Andrea stieg ein, und der Kutscher fuhr schnell darauf los. Bald wurde sein Wagen von einer Kalesche überholt, die zwei Postpferde im Galopp fortzogen.
Ah! sagte Cavalcanti seufzend zu sich selbst, wenn ich diese Kalesche, diese guten Pferde und besonders den Paß hätte, dessen man bedurfte, um sie zu bekommen!
Diese Kalesche war aber die, welche Fräulein Danglars und Fräulein d'Armilly fortführte.
Als sie endlich in Louvres ankamen, sagte Andrea: Ich sehe jetzt offenbar, daß ich meinen Freund nicht einhole. Hier sind dreißig Franken, ich bleibe im Roten Rosse über Nacht und nehme in dem ersten Wagen, den ich finde, einen Platz.
Andrea legte dem Kutscher sechs Fünffrankenstücke in die Hand und sprang leicht auf das Straßenpflaster.
Der Kutscher steckte freudig die Summe in die Tasche und fuhr im Schritt wieder nach Paris zurück. Andrea stellte sich, als ob er nach dem Gasthofe zum Roten Rosse ginge, nachdem er aber einen Augenblick an der Tür stehen geblieben war und das Geräusch des Wagens in der Ferne sich hatte verlieren hören, setzte er seinen Weg fort, und machte mit gymnastischen Schritten einen Lauf von zwei Meilen. Hier – er mußte ganz nahe bei Chapelle-en-Serval sein – ruhte er aus, um einen Entschluß zu fassen und einen Plan zu entwerfen.
Ohne Paß die Eilpost oder die gewöhnliche Post zu nehmen, war unmöglich. Daß er in dem Departement der Oise, einem der bestbewachten Frankreichs, nicht bleiben konnte, war einem in Kriminalsachen so erfahrenen Menschen wie Andrea ebenfalls klar. Er setzte sich daher an den Rand eines Grabens, ließ seinen Kopf in die Hände fallen und dachte nach. Zehn Minuten nachher hob er den Kopf wieder empor; sein Entschluß war gefaßt.
Er bedeckte eine ganze Seite des Paletots, den er im Vorzimmer vom Haken zu nehmen und über seinen Ballstaat zu knöpfen Zeit gehabt hatte, mit Staub, ging nach Chapelle-en-Serval und klopfte kühn an die Tür des einzigen Wirtshauses der Gegend. Der Wirt öffnete.
Mein Freund, sagte Andrea, ich wollte von Mortefontaine nach Senlis reiten, als mein Pferd einen Seitensprung machte und mich abschleuderte. Ich muß notwendig noch heute nacht nach Compiegne, wenn ich nicht meiner Familie die größte Unruhe verursachen soll. Können Sie mir nicht ein Pferd leihen?
Wohl oder übel hat ein Wirt immer ein Pferd. Der Wirt rief den Hausknecht, befahl, den Schimmel zu satteln, und weckte seinen siebenjährigen Sohn, der hinter dem Herrn aufsitzen sollte.
Andrea gab dem Wirt 20 Franken und ließ, während er sie aus der Tasche zog, absichtlich eine Visitenkarte mit dem Namen eines vornehmen Bekannten auf den Boden fallen, um den Wirt zu dem Glauben zu bringen, er habe sein Pferd an diesen Herrn vermietet.
Der Schimmel ging nicht schnell, doch einen gleichmäßigen Schritt; in drei und einer halben Stunde war Andrea in Compiegne, es schlug vier, als er auf den Marktplatz kam. Hier entließ er das Kind und wandte sich zu dem Wirtshaus zur Glocke, wo er schon früher bei Jagdausflügen eingekehrt war; denn er bedachte ganz richtig, daß er drei bis vier Stunden vor sich habe, und daß es das beste sei, sich durch einen guten Schlaf und ein gutes Mahl gegen die künftigen Anstrengungen zu wappnen.
Mein Freund, sagte Andrea zu dem Kellner, der öffnete, ich komme von Saint-Jean-au-Bois, wo ich zu Mittag gespeist habe, ich wollte den Wagen nehmen, der um Mitternacht durchfährt, verirrte mich aber und laufe seit vier Stunden im Walde umher. Geben Sie mir eines von den hübschen Zimmern, die nach dem Hofe gehen, und bringen Sie mir ein kaltes Huhn nebst einer Flasche Bordeaux.
Andrea sprach mit der vollkommensten Ruhe; er hatte die Zigarre im Mund und die Hände in den Taschen seines Paletots, seine Kleider waren elegant, sein Bart frisch rasiert; er sah in der Tat aus wie ein verspäteter Edelmann aus der Nachbarschaft.
Während der ahnungslose Kellner sein Zimmer bereitete, stand die Wirtin auf. Andrea empfing sie mit dem reizendsten Lächeln; er fragte sie, ob er nicht Nr. 3 haben
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