Der Graf von Sainte-Hermine - Dumas, A: Graf von Sainte-Hermine - Le Chevalier de Sainte-Hermine
gehört, es ist schließlich Mitternacht!«
»Für mich wird er aufstehen, wenn er ein Mensch mit Herz ist.«
»Menschen mit Herz schlafen um diese Zeit wie alle anderen.«
»Gewiss, aber sie stehen auf, wenn man an ihr Herz appelliert.«
»Haben Sie Zahnweh?«
»Sagen Sie ihm, dass ich höllisches Zahnweh habe.«
»Soll er Ihnen mehrere Zähne reißen?«
»Den ganzen Kiefer, wenn es sein muss.«
»Das ist etwas anderes. Aber ich muss Ihnen sagen, dass Monsieur nicht unter einem Louisdor je Zahn reißt.«
»Zwei Louisdor, wenn es sein muss.«
Das Dienstmädchen steigt die Treppe hinauf, führt Georges in das Behandlungszimmer, zündet die zwei Kerzen an dem Sessel an und geht in das Nachbarzimmer; fünf Minuten später kehrt es zurück und sagt: »Monsieur, folgt mir.«
In der Tat trat der Arzt im nächsten Augenblick ein.
»Beeilen Sie sich, mein lieber Doktor«, rief Georges, »ich warte sehnsüchtig auf Sie.«
»Da bin ich schon, da bin ich schon«, sagte der Arzt. »Setzen Sie sich in jenen Sessel... Gut, jetzt sind Sie hier. Zeigen Sie mir den Zahn, der Ihnen Schmerzen bereitet.«
»Den Zahn, der mir Schmerzen bereitet, zum Teufel!«
»Ja.«
»Hier.«
Und Georges öffnete den Mund und enthüllte dem Blick des Chirurgen ein wahres Schmuckkästchen, das zweiunddreißig Perlen enthielt.
»Oho!«, sagte der Arzt. »So ein prachtvolles Gebiss habe ich selten gesehen; doch welches ist der Zahn, der Ihnen Schmerzen bereitet?«
»Es ist eine Art Neuralgie, Doktor, suchen Sie selbst.«
»Auf welcher Seite?«
»Rechts.«
»Sie belieben zu scherzen, ich kann keinen einzigen Zahn entdecken, der einen Makel hätte.«
»Doktor, denken Sie, ich bäte Sie zum Vergnügen, mir einen Zahn zu reißen?«
»Aber welchen Zahn soll ich Ihnen reißen?«
»Den da«, sagte Georges und deutete auf den ersten Backenzahn, »nehmen Sie den!«
»Sind Sie ganz sicher?«
»Mehr als sicher, beeilen Sie sich.«
»Monsieur, ich muss Ihnen trotzdem versichern...«
»Mir scheint«, erwiderte Georges mit gerunzelter Stirn, »dass es erlaubt sein müsste, sich einen Zahn reißen zu lassen, der Schmerzen macht.«
Und indem Georges sich aufrichtete, ließ er vielleicht nicht unabsichtlich die Griffe zweier Pistolen und eines reichverzierten Dolchs sehen.
Der Chirurg begriff, dass er einem so wohlbewaffneten Mann besser nichts abschlug; er setzte die Schraubzange an, drehte sie und zog den Zahn.
Georges stieß keinen Klagelaut aus. Er ergriff ein Glas, schenkte Wasser ein, gab ein paar Tropfen Medizin in das Wasser und sagte überaus höflich: »Monsieur, niemand dürfte eine leichtere Hand und zugleich einen festeren Griff haben als Sie. Dennoch muss ich sagen, dass mir die englische Methode lieber ist als die französische.«
Er spülte sich den Mund und spie in das Becken.
»Und wie kommt es zu dieser Vorliebe, Monsieur?«
»Sie rührt daher, dass die Engländer die Zähne mit der Zange ziehen, von unten nach oben, so dass der Zahn in gerader Richtung entfernt wird, während die Franzosen eine Schraubbewegung ausführen, mit der die Zahnwurzel gedreht wird, und das ist sehr schmerzhaft.«
»Recht viel Schmerz haben Sie sich nicht anmerken lassen.«
»Das kommt daher, dass ich große Selbstbeherrschung besitze.«
»Sind Sie Franzose, Monsieur?«
»Nein, ich bin Bretone.«
Und er legte zwei Louisdor auf den Kaminsims.
Georges hatte noch nicht das vereinbarte Signal gehört, das reine Luft bedeutete, und wollte deshalb Zeit gewinnen. Monsieur Guilbart wiederum hatte nicht die Absicht, einen so schwerbewaffneten Patienten zu verärgern, und zeigte sich von den banalsten Gesprächsgegenständen angetan. Schließlich ertönte ein Pfiff.
Das war das Signal, auf das Georges gewartet hatte. Er erhob sich, schüttelte dem Arzt herzlich die Hand und stieg eilig die Treppe hinunter.
Der Arzt blieb zurück, außerstande, sich zu erklären, was vorgefallen war, und ratlos, ob er es mit einem Wahnsinnigen oder mit einem Einbrecher zu tun gehabt hatte. Erst am nächsten Tag, als ein Polizist ihn aufsuchte und ihm Georges beschrieb, den die Polizisten in der Nähe seines Hauses aus den Augen verloren hatten, erkannte er den Gesuchten wieder.
Als der Polizist sagte: »Er hat alle zweiunddreißig Zähne im Mund«, ging dem Arzt ein Licht auf; er sagte: »Da irren Sie sich! Er hat nur noch einunddreißig Zähne.«
»Seit wann?«, fragte der Polizist.
»Seit gestern Abend«, sagte Moniseur Guilbart, »denn da habe ich ihm
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