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Der Graf von Sainte-Hermine - Dumas, A: Graf von Sainte-Hermine - Le Chevalier de Sainte-Hermine

Titel: Der Graf von Sainte-Hermine - Dumas, A: Graf von Sainte-Hermine - Le Chevalier de Sainte-Hermine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandre Dumas
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Welches unbekannte Wesen beten sie so gen Osten gewendet an?‹
    Bonaparte unterbrach sich und nahm ohne jeden Übergang einen anderen Gedanken auf: ›Das Christentum? Haben die Ideologen nicht ein astronomisches System aus ihm machen wollen? Meinen sie, wenn es wirklich so wäre, mich überzeugen zu können, das Christentum sei nichtig? Wenn das Christentum die Allegorie der Bewegung der Welträume ist oder die Geometrie der Sterne, dann können die freien Geister sich anstrengen, wie sie wollen, wider Willen haben sie dem Infamen noch genug Größe gelassen.‹
    Und alsbald ging Bonaparte weiter. Da blieb ich wie Hiob in meiner Nacht – ›Und ein Hauch fuhr an mir vorüber; es standen mir die Haare zu Berge an meinem Leibe. Da stand ein Gebilde vor meinen Augen, doch ich erkannte seine Gestalt nicht.‹
    Meine Erdentage sind nur eine Folge von Visionen gewesen, unablässig haben sich Hölle und Himmel unter meinen Schritten oder über meinem Haupte geöffnet, ohne dass ich Zeit gehabt hätte, deren Finsternis und deren Helligkeit auszuloten. Ein einziges Mal bin ich am Ufer der beiden Welten dem Mann des vorigen und dem Mann des neuen Jahrhunderts begegnet: Alle beide schickten mich wieder in meine Einsamkeit zurück, der Erste mit einem wohlwollenden Wunsch, der Zweite mit einem Verbrechen.
    Ich bemerkte, dass Bonaparte, während er sich in der Menge bewegte, mir tiefere Blicke zuwarf als jene, die er auf mich geheftet hielt, während er mit mir gesprochen hatte. Ich verfolgte ihn mit den Augen und dachte mir wie Dante: Chi è quel grande, che non par que curi L’incendio? Wer ist der Riese, der so unbekümmert daliegt, als könnte ihm kein Feuerregen etwas anhaben?«
     
    Diese tiefen Blicke, die Bonaparte Chateaubriand zuwarf, hatten nichts Außergewöhnliches; in diesem Moment standen sich einfach zwei Männer gegenüber, die höchsten Ruhm erlangt hatten: Chateaubriand als Dichter, Bonaparte als Staatsmann.
    Man war über so viele Ruinen gegangen, dass es einen danach verlangte, auf einem Denkmal auszuruhen, doch unter all den zerstörten Dingen war die Religion am gründlichsten vernichtet, zertreten, zu Staub zermalmt worden. Man hatte die Glocken eingeschmolzen, die Altäre umgestürzt, die
Heiligenstatuen zerschmettert, die Priester erwürgt, man hatte sich falsche Götter ersonnen, unbeständige, vergängliche Götter, die vorbeigezogen waren wie ein Wirbelsturm der Ketzerei, der das Gras unter den Füßen verdorren lässt und die Städte verwüstet. Man hatte die Kirche Saint-Sulpice zum Tempel des Sieges und Notre-Dame zum Tempel der Vernunft erklärt. Es gab nur noch einen wahren Altar, das Schafott, und ein wahres Heiligtum, den Grève-Platz. Selbst große Geister schüttelten verleugnend den Kopf, und nur große Seelen gaben die Hoffnung nicht auf.
    In dieser Atmosphäre kam Chateaubriands Geist des Christentums wie die erste Brise sauberer Luft nach einer Epidemie, wie ein Lebenszeichen nach dem Moderhauch des Todes.
    War es nicht wahrhaft tröstlich, dass zur gleichen Zeit, als ein ganzes Volk vor den blutbeschmierten Gefängnistoren brüllte, auf der Place de la Révolution eine unermüdlich arbeitende Guillotine umtanzte und rief: »Es gibt keine Religion mehr, es gibt keinen Gott mehr!«, dass zu ebendieser Zeit ein Mann sich ganz dem Zauber einer Nacht in den amerikanischen Urwäldern überließ, auf dem Moos sitzend, den Rücken an einen einzeln stehenden Baumstamm gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt, den Blick auf den Mond geheftet, dessen Schein auf ihn fiel, als verbände er ihn mit dem Himmel, und die Worte murmelte: »Es gibt einen Gott! Ihm huldigen die Lilien des Tals und die Zedern des Libanons; das Insekt summt seinen Lobgesang, der Elefant begrüßt ihn bei Tagesanbruch, die Vögel besingen ihn im Laub, der Wind murmelt seinen Namen im Wald, der Donner kündet dröhnend von seiner Gegenwart, der Ozean rauscht seine Unendlichkeit!
    Der Mensch allein sagt: ›Es gibt keinen Gott!‹
    Hat dieser Mensch denn niemals im Unglück den Blick zum Himmel erhoben? Hat sein Blick sich nie in die bestirnten Weiten verirrt, in denen die Welten wie Sandkörner gesät sind? Ich habe gesehen, und das genügt mir. Ich sah die Sonne an der Pforte des Sonnenuntergangs in purpurnen und goldenen Tüchern hängen und den Mond am entgegengesetzten Horizont wie eine silberne Lampe im azurblauen Osten aufsteigen.
    Die zwei Gestirne mischten im Zenit ihr Bleiweiß und ihr Karmin; das Meer

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