Der Graf von Sainte-Hermine - Dumas, A: Graf von Sainte-Hermine - Le Chevalier de Sainte-Hermine
sofern wir den Schnee auffangen können, doch warum sollten wir uns nicht ein bisschen aufwärmen?«
Ein Kohlenbecken wurde angezündet, das man Tag und Nacht unterhielt.
Die Nachtkälte ist im Januar und im Februar an der englischen Küste und im Ärmelkanal geradezu unerträglich, und in diesem Fall ging es nicht nur um die Kälte, sondern auch um die Orientierung für die Navigation. Einen Kompass gab es, doch er war alt und verrostet, so dass man auf gröbste Fehlanzeigen gefaßt sein musste. Vergebens hatte man nach einem Log gesucht, um den zurückgelegten Weg zu messen; keine Instrumente halfen erkennen, mit welchem Wind man gefahren war oder fahren sollte, kein Öl und keine Kerzen erhellten das Kompasshäuschen; man wusste nur, dass es zuerst nach Süden und dann nach Osten zu segeln galt, doch dafür besaß man nur Renés kleinen Taschenkompass und kein anderes Licht als das des anfangs so verachteten Torfs.
René wurde als Kundigster von ihnen und als derjenige, dessen Mut man am meisten vertraute, einstimmig zum Kapitän gewählt.
Das Meer war stürmisch, der Wind wehte heftig und unberechenbar, und die Segel des Kutters waren zu Fetzen zerrissen; René befahl, alles Segeltuch, das man finden konnte, zusammenzutragen. Sullivan entdeckte eine Truhe, in der sich Segeltuch in recht gutem Zustand nebst einer Kerze befand, die dazu verwendet wurde, den Matrosen zu leuchten, während sie ein großes Segel zusammennähten.
Um acht Uhr abends war an alle die Ration aus zwei Kartoffeln, zwei Kohlblättern, etwas Butter und einem Glas Wasser ausgeteilt worden.
Da man nicht genug Segeltuch besaß, wurde beschlossen, auf das Vorstagsegel
zu verzichten und das Segeltuch für das Großsegel zu verwenden; diese Umstellung brachte einen Zeitverlust von fünf Tagen mit sich. Sobald das Großsegel installiert war, fuhr man schneller und sicherer.
Die Kerze hatte man durch Kienspäne ersetzt, die mit Torf am Brennen gehalten wurden. Über den Kurs machte man sich keine Sorgen, denn mit Renés Taschenkompass konnte man ihn jederzeit korrigieren. Wenngleich die Flüchtlinge sich nicht gerade begeistert über die Verköstigung gezeigt hatten, sah man am vierten Tag, dass ihnen noch Nahrung für zwei bis drei Tage verblieb. Am Wasser hatte man gespart, so gut es ging, doch es war zum Kochen des Kohls benötigt worden, während die Kartoffeln im heißen Torf gebacken wurden.
Am fünften Tag sah man ein Schiff am Horizont. René rief seine Gefährten und zeigte ihnen das Schiff.
»Es ist ein Engländer oder das Schiff eines verbündeten Landes; wenn es englisch ist, kapern wir es; wenn es einer befreundeten Nation angehört, bitten wir um Hilfe, die man uns gewähren wird, so dass wir weiterfahren können. Die Standard , die wir mit der Revenant gekapert haben, hatte vierhundertfünfzig Mann Besatzung, und wir hatten nur hundertzwanzig Mann an Bord, sie hatte achtundvierzig Kanonen, und wir hatten nur sechzehn, und ausgehungert waren wir auch nicht. In den Wind, Ire, und auf ins Gefecht.«
Jeder nahm seine Segelmacherahle, und René ergriff seinen Gitterstab, doch das verbündete oder gegnerische Schiff, Kauffahrer oder Kriegsschiff, ergriff die Flucht vor dem Kutter, der auf eine weitere Verfolgung verzichten musste.
»Kann mir niemand einen Tropfen Wasser abgeben?«, fragte ein Matrose in jämmerlichem Ton.
»Gewiss doch, mein wackerer Junge«, sagte René.
»Und Sie?«, fragte ihn der Matrose.
»Ich«, sagte René mit einem Lächeln, um das ihn die Engel beneidet hätten, »ich bin nicht durstig.«
Und er gab dem Matrosen seine Wasserration.
Es wurde Abend, und die letzte Ration wurde ausgeteilt, die aus einer Kartoffel, einem Kohlblatt und einem halben Glas Wasser pro Mann bestand.
Seit Langem ist bekannt, dass die schlimmste aller Qualen notleidender Schiffsbesatzungen der Durst ist: Der Durst macht uns sogar dem engsten Freund gegenüber unbarmherzig.
Am Tag nach der letzten Ration hatte die Not unsere Flüchtlinge zu Rasenden gemacht; jeder hatte sich von den anderen abgesetzt, und alle Mienen waren bleich und abgezehrt. Unvermittelt ertönte ein Schrei, und einer der Matrosen sprang in seinem Fieberwahn ins Wasser.
»Aufbrassen und Rettungstaue auswerfen!«, rief René, der dem Matrosen hinterher ins Meer sprang.
Zwei Sekunden später kam René an die Wasseroberfläche zurück; er hielt den Matrosen im Arm und wehrte sich gegen dessen wilde Schläge. Er ergriff ein Tau, schlang es dem anderen um den
Weitere Kostenlose Bücher