Der Graf von Sainte-Hermine - Dumas, A: Graf von Sainte-Hermine - Le Chevalier de Sainte-Hermine
dass der Inzest in den letzten Tagen Roms überaus verbreitet war. Durch seine vier Schwestern hatte Clodius Zugriff auf die vier großen Machtbereiche unserer Welt: über die Frau des Metellus Celer war ihm die konsularische Macht zugänglich, durch die Frau des Hortensius stand ihm eine der wortmächtigsten Stimmen Roms zur Verfügung, durch die Frau des Lucullus stand ihm das Vermögen des reichsten Bankiers der Welt zur Verfügung, und durch Lesbia, die Mätresse Catulls, erlangte er das Ansehen, das Freundschaft und Verse eines großen Dichters ihm verschafften; zudem unterstützte ihn der reiche Crassus in der Voraussicht, eines Tages möglicherweise den Pöbel zu benötigen, über den Clodius gebot; Cäsar, dessen Laster er teilte, schmeichelte ihm und versuchte zugleich, ihm seine Frau abspenstig zu machen, und Pompejus hielt große Stücke auf ihn, weil er die Legionen seines Schwagers Lucullus zugunsten des Pompejus aufgewiegelt hatte; selbst mit Cicero stand er auf gutem Fuß, denn dieser war in seine Schwester Lesbia verliebt und wäre gern ihr Liebhaber gewesen, wogegen Clodius nicht das Geringste einzuwenden hatte.
Diese Liebe wurde für Clodius zum Verhängnis. Ich sagte bereits, dass er der Liebhaber der Mussia war, Tochter des Pompejus und Ehefrau Cäsars. Um sich ungestört mit ihr zu treffen, schlich er sich in Frauenverkleidung in ihr Haus; wie Sie wissen, war bei diesen lesbischen Orgien die Gegenwart von Männern, ja sogar männlicher Tiere strengstens verboten. Eine Dienerin erkannte Clodius und verriet ihn; Mussia half ihm,
durch Geheimgänge zu entfliehen, doch das Gerücht von seiner Anwesenheit war bereits in aller Munde, und ein beispielloser Skandal war die Folge.
Clodius wurde von einem Tribun des Religionsfrevels angeklagt und vor Gericht zitiert, doch Crassus sagte ihm, er solle sich keine Sorgen machen, denn er, Crassus, werde die Richter bestechen; und wahrhaftig kam er mit Geld und schönen Patrizierinnen, die sich für Clodius opferten, und er ging sogar so weit, für diese Götter des Rechts die Fabel von Jupiter und Ganymed nachzustellen; all das führte zu einem solchen Skandal, dass Seneca sagte: ›Das Vergehen des Clodius war weniger schuldhaft als dessen Sühne.‹<
Zu seiner Verteidigung hatte Clodius ein Alibi ersonnen: Er behauptete, am Tag vor dem Fest der Bona Dea tausend Meilen von Rom entfernt gewesen zu sein. Zu seinem Pech hatte Terentia, die Ehefrau des Cicero, die schrecklich eifersüchtig war und Ciceros Liebe zu Lesbia bemerkt hatte, ihren Ehemann am Tag der Geheimfeiern im Gespräch mit Clodius gesehen, und sie stellte Cicero vor eine Wahl, der er sich bei all seiner Gewandtheit nicht entziehen konnte: ›Entweder sind Sie in die Schwester des Clodius verliebt; dann werde ich wissen, was ich zu tun habe, und Sie werden nicht gegen ihn aussagen; oder Sie sind nicht in sie verliebt, und dann gibt es keinen Grund, warum Sie nicht gegen ihren Bruder aussagen sollten.‹<
Cicero fürchtete sich vor seiner Frau, und er sagte gegen Clodius aus. Das hat Clodius ihm nie verziehen; und daher rührt der Hass, der die Tumulte und Aufstände auslöste, die Rom mehr als ein Jahr lang erschütterten, und der erst ein Ende fand, als Milo Cicero den Dienst erwies, Clodius von seinen Tierfechtern erschlagen zu lassen.
Das Volk hielt seinem Abgott über den Tod hinaus die Treue, was selten genug vorkommt, und nachdem ein Senator den Kadaver gefunden und nach Rom zurückgebracht hatte, errichtete seine Ehefrau Fulvia ihm einen Scheiterhaufen, und das römische Volk nahm glühende Holzscheite und brannte ein ganzes Stadtviertel nieder.«
»Mein lieber Reisegefährte«, sagte der junge Offizier, »Sie sind eine wahre wandelnde Bibliothek, und es wird mir mein Lebtag lang zur Befriedigung gereichen, in Begleitung eines zweiten Varro gereist zu sein … Ha! Sehen Sie«, rief er und klatschte begeistert über die klassische Anspielung, die ihm gelungen war, in die Hände, »auch ich bin von der römischen Geschichte affiziert! Aber fahren Sie fort, fahren Sie fort. Was ist
das hier für ein Grabmal? Nur zu gern würde ich Sie einmal bei einer Wissenslücke ertappen.«
»Da haben Sie eine schlechte Wahl getroffen«, sagte der Cicerone, »denn dieses Grab ist mir besonders vertraut. Es ist das Grab des Askanios, des Sohns des Äneas, der so unvorsichtig war, bei der Plünderung Trojas den Rockzipfel seiner Mutter loszulassen, so dass er sie nicht wiederfand, sondern nur seinen
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