Der Graf von Sainte-Hermine - Dumas, A: Graf von Sainte-Hermine - Le Chevalier de Sainte-Hermine
nimmt er sein Kreuz ab u. reicht es ihm mit den Worten: »Meiner Treu, was bleibt mir anderes übrig!«
Napoleon muss abdanken; die ganze Familie Sainte-Hermine sammelt sich um ihn; Hector ist knapp fünfunddreißig u. hat eine prachtvolle Laufbahn vor sich, wenn er den Bourbonen dienen will, denen seine Vorfahren, sein Vater u. seine Brüder gedient haben. Man ernennt ihn zum Hauptmann der Musketiere, was dem Rang eines Generals gleichkommt – er nimmt an.
Doch während seiner ersten Audienz bei Ludwig XVIII. kränkt er diesen, weil er ihn Majestät nennt. Der König gibt ihm zu verstehen, dass der Begriff Majestät durch den Usurpator geschändet wurde und man deshalb nicht mehr Majestät sagt, sondern sich der dritten Person bedient und »der König« sagt.
Nach dieser Audienz begegnet Hector einem Bettler, dem er ein Geldstück gibt.
»Ach«, sagt der Bettler, »das ist nicht sehr großzügig gegenüber einem alten Gefährten.«
»Gefährten?«
»Oder Kompagnon, wie Sie wollen. Compagnon de Jéhu. Wir waren
bei dem denkwürdigen Überfall zusammen, als Sie sich erwischen ließen. Sie werden verstehen, dass ich mich nicht mit einem Almosen abspeisen lasse.«
»Du hast recht, dir steht mehr zu als das. Komm in die Nummer elf in der Rue de Tournon, dort wohne ich.«
»Und wann?«
»Komm gleich, ich werde dich erwarten.«
Hector spornt sein Pferd zum Galopp an, so dass er zehn Minuten vor dem Bettler zu Hause ist.
Er steckt ein Paar Pistolen ein, schickt seinen Diener fort, der Einkäufe machen soll, und wartet.
Der Bettler klingelt. Hector geht zur Tür. Er nimmt den Bettler in sein Arbeitszimmer mit, öffnet einen Sekretär voller Geld und sagt: »Bedien dich.«
Während der Bettler die Hand ausstreckt u. eine Handvoll Geld einstecken will, zieht Hector eine Pistole und schießt ihm eine Kugel in den Kopf – dann schließt er die Tür, geht in den Tuilerienpalast zurück, bittet, den König zu sprechen, und erzählt ihm, was vorgefallen ist.
Er erklärt ihm, dass er Wegelagerer war, um Geld für Cadoudal u. für die Sache des Royalismus zu besorgen.
Ludwig XVIII. ist noch beleidigt wegen der Anrede Majestät; er ist bereit, Hector zu begnadigen, aber nur unter der Bedingung, dass er seine Demission einreicht und Frankreich verlässt.
»Danke, Sire«, antwortet Hector.
Er geht nach Italien, schifft sich in Livorno ein und landet auf Elba. Dort trifft er auf Napoleon.
Er kehrt mit Napoleon von Elba zurück, wird bei der Schlacht von Ligny zum General ernannt, nimmt an der Schlacht von Waterloo teil, kehrt mit Ney nach Paris zurück. Labédoyère wird wie sie zum Tode verurteilt.
Daraufhin wirft sich Mademoiselle de La Clémencière, die zwölf Jahre in einem Kloster ihrer alten Liebe die Treue gewahrt hat, dem König Ludwig XVIII. zu Füßen u. bittet ihn um Gnade für Hector.
Ludwig XVIII. schlägt ihr die Bitte ab u. sagt: »Wenn ich Ihren Geliebten begnadige, muß ich auch Ney und Labédoyère begnadigen, und das kann ich nicht.«
»Wohlan, Sire«, erwidert Mademoiselle de La Clémencière, »dann gewähren Sie mir eine letzte Gunst. Sobald Graf Hector tot ist, gestatten
Sie, dass ich seinen Leichnam mitnehme, um ihn in der Gruft meiner Familie beizusetzen. Da ich in dieser Welt nicht mit ihm leben durfte, werde ich wenigstens in der Ewigkeit neben ihm schlafen.«
Der König Ludwig XVIII. schreibt auf ein Blatt Papier: »Sobald der Graf von Sainte-Hermine tot ist, erlaube ich die Herausgabe des Leichnams an Mademoiselle de La Clémencière.«
Mademoiselle de La Clémencière ist mit Doktor Cabanis verwandt; sie fragt ihn, ob es ein Betäubungsmittel gibt, das einen so todesähnlichen Zustand hervorrufen kann, dass ein Gefängnisarzt den Betäubten für tot erklärt.
Cabanis bereitet den Schlaftrunk eigenhändig zu, man flößt ihn Hector ein, und in derselben Nacht, in der er füsiliert werden soll, stellt der Arzt der Conciergerie seinen Tod fest.
Um drei Uhr morgens findet sich Mademoiselle de La Clémencière mit einer Postkutsche vor dem Gefängnis ein u. zeigt den Befehl Ludwigs XVIII., ihr den Toten auszuhändigen.
Der Befehl ist echt, der Tote wird ihr übergeben, man bricht in die Bretagne auf, doch unterwegs flößt Mademoiselle de La Clémencière Hector ein Gegenmittel ein, und er erwacht in den Armen der Frau, die er vor zwölf Jahren geliebt hat, die er immer noch liebt, aber nie wiederzusehen gewagt hatte!
A. DUMAS 19
Höchstwahrscheinlich hat Paul Dalloz im Herbst 1868
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