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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Velox, ein schöner
    Kehailaner. Sattel und Zaumzeug waren dem meinen
    ähnlich, und darüber hinaus reich verziert mit Reifen und Beschlägen aus Silber. Der Mann war zweifellos
    germanischer Abstammung, doch ich konnte den Akzent, mit dem er die alte Sprache sprach, nicht einordnen. Und warum war er, weder Römer noch einer der Asiaten, die Handlos erwähnt hatte, ausgerüstet wie ein Soldat der römischen Reiterei? Vorerst jedoch war ich dankbar für seine Hilfe und wollte nur noch eines wissen.
    »Vielleicht«, sagte ich, »könnten wir uns noch einander vorstellen, bevor ich sterbe. Meine Name ist Thorn.«
    »Dann teilen wir dieselbe Initiale. Ich heiße Thiuda.«
    Er fragte nicht, warum mein Name nur aus einem Initial bestand; vielleicht, weil sein eigener Name ebenso
    ungewöhnlich war wie der meine. Thiuda ist die Pluralform eines Substantivs und bedeutet »Volk«.
    »Jedenfalls«, fuhr er fort, »wirst du an dem Gift der
    Schlange kaum sterben, auch wenn du dir das vielleicht wünschst, wenn es erst zu wirkten beginnt. Hier, trink das.«
    Er hatte einige Stengel der Wolfsmilchpflanze bei sich, deren milchigen, klebrigen Saft er inzwischen in seine Flasche, ein exaktes Gegenstück zu meiner Flasche,
    gepresst hatte. Dann hatte er Wasser hineingeschüttet, es heftig geschüttelt und sie mir herübergereicht.
    Während ich an dem bitteren Trank würgte, murmelte
    Thiuda »Die Otter war dir wahrlich wohlgesonnen. Sie lag zusammengerollt auf dem besten Gegenmittel gegen ihr
    Gift« und kratzte etwas von dem auf dem schwarzen Felsen wachsenden Moos ab, zog meinen aufgeschnittenen Arm
    aus dem Wasser - der Blutstrom war inzwischen zu einem Rinnsal versiegt -, packte das Moos auf die Wunde und
    band es mit einem Tuchstreifen fest, den er von dem Saum seiner Tunika abriß. Zuletzt lockerte er kurz den um meinen Oberarm gebundenen Gürtel.
    Mit dünner Stimme, - der bittere Wolfsmilchtrank hatte mir den Mund zusammengezogen -, fragte ich: »Durchstreifst du diese Wälder nur, um unvorsichtigen Wanderern
    beizustehen?«
    »Ich möchte wohl sagen, daß ich jedem helfen würde, der von einer Schlange gebissen wurde. Aber, wie deine
    römische Ausrüstung zeigt, bist du schwerlich ein einfacher, umherziehender Bauersmann. Solltest du etwa aus einer
    Turma desertiert sein?«
    »Ne, ni allis!« entgegnete ich zuerst empört, mußte dann aber lachen. »Ich hatte dich gleichermaßen im Verdacht.«
    Er schüttelte seinen Kopf und lachte jetzt ebenfalls.
    »Thorn, erzähl du zuerst, solange du noch in ganzen Sätzen sprechen kannst.«
    War er doch ein Spion oder Späher für eine der
    streitenden Fraktionen hier in Pannonia? Aber er würde mich kaum zusammenflicken, nur um mir dann später die Hände abzuhacken. So berichtete ich ihm wahrheitsgemäß, wie ich mit der Legion des Claudius gegen die Hunnen gefochten hatte und zur Belohnung Velox, Waffen und anderes mehr erhalten hatte. Etwas hochmütig erzählte ich ihm, daß ich in der letzten Zeit im Pelzhandel ein ansehnliches Vermögen gemacht hatte und jetzt nur noch zum Vergnügen reiste.
    »Natürlich«, schloß ich, »würde ich mich glücklich schätzen, dich, Thiuda, wie einen ausgebildeten Medicus für deine Dienste zu entlohnen.«
    »Sieh an, ein wohltätiger Reicher?« Er blickte mich
    durchdringend an und sagte, noch hochmütiger als ich:
    »Höre gut zu, du Wichtigtuer. Ich bin ein Ostgote. Ich will weder Dank noch Bezahlung für meine guten Taten,
    genausowenig wie ich für meine Übeltaten um Vergebung
    bitte.«
    Ich bereute meine Worte und sagte: »Bitte verzeih mir.
    Mein Hinweis war einfältig. Ich, der ich selbst von gotischer Abstammung und gotischem Stolz bin, hätte es besser
    wissen müssen.« Doch ich konnte mir nicht verkneifen,
    hinzuzufügen: »Ich habe andere Goten sprechen gehört,
    und du klingst nicht wie sie.«
    Er lachte: »Nai, ich meine ja. Du hast recht. Ich sollte mich bemühen, meinen griechischen Einfluß abzulegen. Zu lange habe ich im Osten gelebt und bin erst vor kurzem zu meinem Volk heimgekehrt. Erst vor kurzem, und zu spät.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Ich eilte hierher, um meinem Volk im Kampf gegen die
    verfluchten Skirer beizustehen. Aber der Kampf war vorüber, bevor ich ihnen zu Hilfe kommen konnte. Die
    Auseinandersetzung fand am Fluß Bolia, einem Zufluß der Donau, statt, und ich hörte erst davon, als alles vorbei war.«
    Er klang niedergeschlagen, so sagte ich mitfühlend: »Es tut mir leid zu hören, daß dein Volk

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