Der Greif
verloren hat.«
»Aber nein. Natürlich nicht! Wie kannst du so etwas auch nur denken?« sagte er streng, aber lachte schon wieder.
Ganz offensichtlich besaß er ein heiteres Gemüt, zumindest solange ich nicht unvorsichtigerweise seinen Stolz
herausforderte. »Es ist bloß so, daß mein Volk mich nicht nötig hatte. Nur das tut mir leid. Ja, sie haben ordentlich aufgeräumt unter den Skiren. Viele wurden erschlagen, der Rest floh westwärts.«
»Ich glaube, ich habe einige von ihnen auf dem Rückzug gesehen.«
»Es können nicht viele gewesen sein«, sagte Thiuda mit Genugtuung in der Stimme und fügte stolz hinzu: »Ich hörte, daß es mein eigener Vater war, der den unwürdigen Edika erschlug.«
»Es freut mich zu hören, daß jemand ihn erschlagen hat«, sagte ich, an den Handlosen und sein Dorf denkend.
»Aber es gilt noch immer Babai zu besiegen, den König
der Sarmaten. So werde ich doch Gelegenheit erhalten,
meine Klinge in Blut zu tauchen. Zur Zeit jedoch, nach dem, was den Skiren widerfuhr, halten sich die Sarmaten
vorsichtig zurück. Und so beschloß ich, in dieser
Kampfpause Vindobona zu besuchen. Ich wurde in der Nähe geboren und habe meine Geburtsstätte schon viele Jahre nicht mehr gesehen.«
»Ja? Ich selbst bin unterwegs...« Ein plötzliches
Schwindelgefühl ließ mich innehalten. »Ich meine... ich werde... wenn ich mich besser...« Dann konnte ich nicht mehr sprechen, denn plötzlich würgte ich Galle.
»Lehn dich über das Wasser und leg los«, sagte Thiuda
aufmunternd. »Am besten, du gewöhnst dich gleich daran.
Laß mich nur noch einmal den Gürtel kurz locker machen, dann entfache ich ein Feuer und breite unsere Felle aus.«
Er schwatzte zwar noch weiter, während er geschäftig
werkelte, aber ich habe keine Erinnerung an das, was er sagte. Auch nicht an die drei Nächte und fast drei Tage, in denen das Gift in mir tobte, wie Thiuda mir später sagte. In der Zeit klagte ich häufig darüber, alles, unter anderem auch ihn, doppelt zu sehen, und zu anderen Zeiten redete ich so verwirrt, daß man mich unmöglich verstehen konnte.
Am dritten Tag unserer Bekanntschaft hörte mein Kopf
endlich auf zu schmerzen, klärte sich mein Geist wieder und konnte ich verständlich sprechen. Als sich, abgesehen von der fürchterlich juckenden Wunde, mein Zustand weiter
besserte und die Leibschmerzen und Krämpfe immer
seltener auftraten, erklärte Thiuda, daß ich den
Schlangenbiß überstanden hätte.
»Aber ich fühle mich schwach wie ein Säugling«, murmelte ich.
»Ach, und ich dachte, das sei normal bei dir«, zog er mich auf.
»Eh?«
»Warum sonst würdest du dich an dein Pferd binden?«
Diese Frage kam etwas überraschend, und ich brauchte
einen Moment, bis ich verstand. »Ah so, das Seil für die Füße!« Also erklärte ich ihm, wie mir diese Vorrichtung in den Sinn gekommen war und welchem Zweck sie diente.
»Was du nicht sagst«, murmelte Thiuda, so als ob er, wie Wyrd, allem Neuen mißtraute. »Ich ziehe es vor, mich auf die Kraft meiner beiden Schenkel zu verlassen. Wenn dir das Seil jedoch bisher schon hilfreich vorkam, dann wird es dir um so mehr helfen, während du wieder zu Kräften
kommst. Wenn du in Vindobona ankommst, solltest du
wieder vollkommen hergestellt sein. Sollen wir gemeinsam reiten?«
»Ja, sehr gerne. Und ohne dein ostgotisches Ehrgefühl zu verletzen, gestatte mir, dich in das beste Wirtshaus der Stadt auf ein üppiges Mahl einzuladen.«
»Aber nur«, grinste er breit, »wenn dabei der Wein in
dionysischen Mengen fließt.« Schelmisch fügte er hinzu:
»Da du darauf bestehst, den verschwenderischen jungen
Mann aus reichem Hause zu spielen, werde ich deinen
niedrigen und untertänigen Diener markieren und vor dir her in die Stadt reiten und allen zurufen: »Platz für Thornreichs, meinen Herrn!« Diese gothische Ausschmückung meines
Namens bedeutete »Thorn, der Herrscher« oder, in Latein,
»Thorn Rex«.
»Oh väi,« widersprach ich. »Ich bin nichts dergleichen. Ich fing mein Leben als Findelkind auf einer Türschwelle an und wuchs auf in einem Kloster.«
»Egal. Sei nicht so bescheiden«, sagte Thiuda ernsthaft.
»Wenn du eine Stadt betrittst, oder eine Versammlung oder etwas in der Art, und dich selbst als ein Nichts betrachtest, dann wirst du dementsprechend empfangen. In Vindobona
würden sie selbst in den schäbigsten Wirtshäusern dein Geld sehen wollen, bevor man dich bewirten oder dir einen Raum geben würde. Aber geh hin
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