Der Greif
aufeinanderschlagenden Waffen und Rüstungen.
Vorsichtshalber lenkte ich Velox vom Weg hinunter und ritt ein gutes Stück in den Wald. Falls das eine berittene Armee-Einheit war, deckten sicherlich Spekulatoren -
vorausreitende Späher - den Trupp nach vorne und an den Flanken ab.
Tief im Wald stieß ich auf eine kleine Anhöhe, von der aus ich, auf einem Baum sitzend, einen Abschnitt des Wegs
beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden, sofern nicht ein Spekulator genau unter mir vorbeiritt und auf den angebundenen Velox stieß. Kein Späher kam, und nach
einiger Zeit konnte ich rund zweihundert Männer vorbeireiten sehen. Es war ein bunter Haufen.
Ihre Anführer waren zwar erkennbar wie Soldaten der
römischen Reiterei bewaffnet und uniformiert, alles in allem vielleicht eine Schwadron. Aber der Rest der Kolonne, und das war die Mehrheit, trug eine bunte Vielzahl von
Kopfbedeckungen und Uniformen, die mir allesamt
unbekannt waren. Und sie alle trugen, im Gegensatz zu den Römern, Bärte. Es konnte sich kaum um Kriegsgefangene
handeln, ansonsten wäre die Kolonne geteilt worden,
fünfzehn Soldaten vor und fünfzehn hinter den Gefangenen reitend. Also mußten die bärtigen Fremdlinge Verbündete oder Söldner unter römischem Kommando sein.
Erst einige Zeit später, als ich die unsichtbare Grenzlinie in die Provinz Pannonia überschritten hatte, erfuhr ich etwas über die Herkunft dieses buntgewürfelten Reitertrupps. Ich erfuhr es von dem ersten Mann, der mir seit Monaten etwas Interessantes zu sagen hatte; er war es auch, der mich darauf hinwies, daß ich mich bereits in Pannonia befand, und mich in die erste bemerkenswerte Siedlung in diesen Wäldern führte.
Ich erspähte den Mann schon aus einiger Entfernung und, wie üblich, beobachtete ich ihn, bis ich mich vergewissert hatte, daß er allein und ungefährlich war. Er klaubte Äste vom Boden auf und häufte sie auf ein Gestell, das auf einem klapprigen alten Gaul befestigt war. Diese einfache Tätigkeit verrichtete er außerordentlich langsam und ungeschickt. Als ich näher kam, sah ich, warum. Er hatte keine Hände mehr, seine Arme endeten an den Handgelenken.
»Häils, frijonds«, grüßte ich ihn. »Kann ich behilflich sein?«
»Mögest du gesund bleiben, Fremder«, antwortete er mit einem langobardischen Akzent. »Ich sammle nur Holz für das Dorf, um für den Winter und die Wölfe gerüstet zu sein.«
Er blinzelte in den blauen Septemberhimmel hinauf. »Kein Grund zur Eile. Noch nicht, jedenfalls.«
»Trotzdem«, sagte ich, »hätte dein Dorf einen besser
ausgestatteten Mann schicken können, Zweige aufzulesen.
Laß mich helfen. «
»Thags Izivis«, sagte er, als ich von Velox abstieg. Leise murmelte er: »Unser Dorf hat fähige Hände bitter nötig.«
Innerhalb weniger Minuten hatte ich mehr Holz
zusammengetragen als er in der ganzen Zeit, da ich ihn beobachtet hatte. Nachdem ich sein altes Pferd hoch
bepackt hatte, las ich noch mehr Äste auf, bündelte sie und hing sie an Velox' Sattel. Dann nahm ich die Zügel beider Pferde und folgte dem Mann, bis wir durch den Wald zu der Lichtung kamen, auf der sein Dorf stand. Als wir die Lichtung überquerten, fiel mir auf, daß sie langsam wieder zuwuchs; Gras und Unkraut standen hoch, und einige Schößlinge
waren auch schon zu kleinen Bäumen herangewachsen.
Die Bewohner kamen aus ihren Hütten und sahen dem
Fremdling neugierig entgegen. Mit Erschrecken ging mir die Bedeutung der leise gemurmelten Bemerkung des
Holzsammlers auf. Niemand in dem Dorf hatte Hände.
Männer, Frauen, Jungen und Mädchen, keine Hände, nur
Stümpfe an den Handgelenken. Nein, nicht ganz. Als ich mit entsetzten Augen um mich blickte, sah ich ein paar
Säuglinge herumkrabbeln und im Dreck spielen. Und die
hatten Hände, mit denen sie spielen konnten. Einen Moment lang hatte ich gedacht, ich sei auf eine ganze Familie von Verkrüppelten gestoßen, die nur handlose Nachkommen
erzeugte, denn diese Leute hier formten ja eine Sippe und waren alle untereinander verschwistert und verschwägert.
Aber die jüngsten unter ihnen waren normal. Anscheinend hatten alle Kinder unter zwei Jahren Hände. Da kaum
anzunehmen war, daß sie ihre Hände abwarfen, wenn sie
älter wurden, mußte vor rund zwei Jahren jemand allen
Bewohnern des Dorfes die Hände abgehackt haben.
»Im Namen des Liufs Guth!« keuchte ich entsetzt und
vergaß alle Höflichkeit. »Was ist hier passiert?«
»Edika«, sagte der Holzsammler.
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