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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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möglich im Tor anbringen«, sagte ich zögernd.
    »Ich kann nicht genau vorhersagen, wie lange es dauern wird, bis sie platzen, nehme jedoch an, daß es im Verlaufe des Tages geschehen wird; vielleicht aber auch nicht.«
    »Falls sie während der Nacht platzen, dann müssen die
    Stadtbewohner eben selbst sehen, wo sie bleiben«, sagte Theoderich gleichmütig. »Sobald das Tor fällt - ob am Mittag oder um Mitternacht - dringen wir in die Stadt ein. Beginne also, wie du voreschlagen hast, kurz vor der
    Morgendämmerung mit den Vorbereitungen.«
    Er gab mir sechs Männer mit, denn in der Schmiede waren inzwischen achtundzwanzig von den Dingern fertiggestellt worden die nun als »Trompeten von Jericho« in aller Munde waren, und ich hatte ausgerechnet, daß ein Mann vier davon sowie einen Holzhammer gut tragen und trotzdem noch
    schnell laufen konnte. Zu siebt brauchten wir nicht lange, um die Trompeten mit Hafer zu füllen. Alle mußten möglichst gleichzeitig versiegelt werden, daher legten die Gehilfen des Schmieds alle achtundzwanzig Eisenkappen auf einmal ins Feuer und erhitzten sie, bis sie rot glühten. Dann füllte ich zusammen mit meinen sechs Begleitern Wasser in die
    Behälter. Anschließend wandte der Schmied sofort seine Lötmethode mit dem Bronzepulver an, klammerte eine
    Kappe nach der anderen auf die Trompeten, und Ansila und seine Gehilfen hämmerten wie wild auf sie ein, um sie zu versiegeln.
    Als die Trompeten soweit erkaltet waren, daß man sie
    anfassen konnte, klemmten meine Männer und ich jeweils vier davon unter den Arm und schnappten uns jeder einen Holzhammer. Wir eilten den Berg hinauf und hielten an der letzten Häuserreihe an, die an den freien Platz vor dem Tor angrenzte. Dort hielt sich Theoderich mit einem Heer von Bogenschützen versteckt und wartete.
    »Fertig?« fragte Theoderich, der sich keinerlei
    Gefühlsregung anmerken ließ, und deutete nach Osten.
    »Der Himmel rötet sich schon in der Morgendämmerung -
    fast wie mein Dienstmädchen. Ich glaube, ich werde es ab jetzt Aurora nennen.«
    Ich spürte, daß er sich bewußt um Gelassenheit bemühte, damit seine Männer die Ruhe bewahrten - oder vielleicht auch ich, denn dieser Sonnenaufgang kündigte meinen
    ersten Tag als ostgotischer Krieger an.
    »Wenn ich das Zeichen dazu gebe, werden meine Männer
    einen Hagel von Pfeilen über den Festungswall schießen«, sagte er, »auf diese Weise geben wir dir und deinen
    Trompetenträgern Deckung, damit ihr ungefährdet über den Platz laufen könnt. Laßt uns also beginnen. So sei es! Stellt euch auf, Krieger!« Er selbst führte die Bogenschützen an, die nun auf die freie Fläche und in die Straßen
    hinausströmten. »Begebt euch in Stellung, legt an und laßt die Pfeile fliegen!«
    Es hörte sich an wie ein plötzlich aufkommender Sturm, als all die Pfeile gleichzeitig lossirrten. Theoderich und seine Schützen legten sofort neue Pfeile an und schössen sie fast so schnell ab wie der alte Wyrd es immer getan hatte.
    »Folgt mir, meine Männer!« schrie ich, und wir stürmten auf das Tor zu. Die sarmatischen Wachen auf der Mauer
    schienen von Theoderichs Pfeilhagel so überrascht worden zu sein, daß sie uns im Morgennebel überhaupt nicht
    wahrnahmen. Keiner der zurückgeschossenen Pfeile flog in unsere Richtung, so daß wir alle sieben den Torbogen ohne einen einzigen Kratzer erreichten. Ich hatte den Männern bereits gezeigt, was zu tun war, daher verloren wir keine Zeit. Mit einem der anderen zusammen begann ich, unsere Haferbehälter einen neben den anderen in die Lücke
    zwischen dem unteren Ende der Torflügel und dem
    Straßenpflaster zu stecken und sie von der Seite und von unten so tief wie nur möglich hineinzuhämmern. Ein paar der anderen machten sich an die Risse in der seitlichen
    Toreinfassung, an den Spalt, der sich in der Mitte zwischen den beiden Torflügeln auftat, und an die Risse um die
    Halbtür. Ein Mann stellte sich auf die Schultern eines anderen und konnte auf diese Weise die Behälter viel höher die Längsrisse hinauf verkeilen, als ich mit meinen Händen hatte reichen können.
    Die Sarmaten in der Stadt hörten sicherlich unsere
    Klopfgeräusche, und ich konnte mir sehr gut vorstellen, wie verwirrt sie sein mußten. Sie hatten vielleicht befürchtet, irgendwann die dumpfen Aufschläge eines Rammbocks zu
    vernehmen; im Vergleich dazu hörte sich unser Hämmern
    jedoch wohl eher so an, als ob wir freundlich anklopften, um eingelassen zu werden. Als meine

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