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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Schwadron wartete.
    Jeder der Männer hatte seine volle Rüstung angelegt und auch den Helm aufgesetzt. Der Tag wurde sehr heiß, und wir schwitzten und quälten uns in unseren Panzern aus
    Metall und Leder. Die einzige Mahlzeit, die uns ungefähr um die Mittagszeit zugeteilt wurde, bestand aus Kleiekeksen und lauwarmem Wasser. Wir waren dazu angehalten
    worden, mit unseren Waffen keinen Lärm zu machen, nur
    mit leiser Stimme zu reden und auch nicht zu lachen oder zu singen - falls es überhaupt Grund zum Lachen oder Singen gab.
    Die Abenddämmerung brachte Erleichterung, denn mit
    dem Untergang der Sonne schwand die drückende Hitze,
    und es wurde merklich kühler. Meine Trompete gab
    allerdings immer noch keinen Laut von sich und veränderte auch nicht ihre Form. Uns blieb also nichts anderes übrig, als weiterhin zu warten und zu hoffen. Langsam begannen die Krieger zu murren, und als die Nacht hereinbrach,
    bereiteten sie sich resigniert darauf vor, auf dem harten Straßenpflaster übernachten zu müssen. Der Optio einer jeden Schwadron ernannte Männer, die sich beim
    Wachehalten ablösen sollten. Da ich mich nicht unter denen befand, die zum Wacheschieben eingeteilt worden waren, überreichte ich meinen Haferbehälter unserem Optio, einem grauhaarigen Krieger namens Daila und bat ihn, den
    wachhabenden Kriegern zu befehlen, ihn zu beobachten.
    Ich schlief ungestört die ganze Nacht hindurch und wachte erst auf, als der Morgen sich schon rötete. Ich eilte zur Wache hinüber, die mir gähnend den Haferbehälter
    entgegenschleuderte und »Nichts zu berichten« grunzte. Ich fing das Ding auf und betrachtete es mit beinahe
    genausoviel Verachtung wie die Wache. Mitten durch ein Gewirr von Kriegern, die langsam wach wurden und ihre
    Glieder streckten, bahnte ich mir den Weg zu unserem Optio Daila. Ich bat ihn um die Erlaubnis, zu Theoderich gehen zu dürfen.
    »Nun, das war es dann wohl«, seufzte Theoderich, als ich ihm die schlechte Nachricht überbrachte. »Es war einen Versuch wert. Aber ich will dich zumindest für den Versuch belohnen, Thorn. Es ist noch etwas von diesem
    Pferdefleisch übrig.« Er rief Aurora zu, sie solle das Essen bringen. Als sie es auftrug, überreichte er ihr die stumme Trompete und sagte: »Hier, entferne dieses Ding aus
    unseren Augen.«
    Es herrschte eine bedrückende Stille, während Theoderich und ich in unseren vergeblich angelegten Rüstungen die Mahlzeit einnahmen. Er hatte offensichtlich keine neuen Ideen zur Eroberung der Stadt zu unterbreiten. Ich auch nicht, und selbst wenn mir etwas eingefallen wäre, dann hätte ich es jetzt nicht gewagt, davon zu sprechen. Nur die Geräusche, die wir beim Kauen des zähen Heisches und
    beim Nippen an unseren Wasserbechern machten,
    unterbrachen die Stille, als plötzlich von der Küche her ein kurzer, kläglicher Schrei an unsere Ohren drang:
    »Huch!«
    Theoderich und ich blickten uns über den Tisch hinweg an, dann sprangen wir beide gleichzeitig auf und rannten durch die Tür. Den Rücken gegen eine Wand der winzigen Küche gepreßt starrte das Mädchen mit weit aufgerissenen Augen auf den Holzherd - diesmal nicht mit geröteten Wangen, sondern kreidebleich. Sie hatte offensichtlich die Trompete auf der einen Seite des Herdes abgestellt und später, ohne es zu bemerken, eine langstielige Schöpfkelle
    darübergelegt; und nun starrte sie auf die Kelle, weil diese anscheinend von selbst auf geradezu unheimliche Weise
    seitlich den Herd entlangkroch. Während unsere drei
    Augenpaare auf die Schöpfkelle gerichtet waren, glitt diese nun sogar noch etwas schneller über den Herd, bis sie
    schließlich über dessen Rand hinunterkippte und auf dem Fußboden aus Erde landete.
    »Die Trompete erklingt!« jubelte Theoderich. »Sie ist
    angeschwollen!«
    »Aber nur sehr wenig«, murrte ich.
    »Vielleicht reicht es aus. Sei gepriesen, Aurora!« Er
    drückte einen Kuß auf ihre bleiche Wange und gab mir durch eindringliche Handzeichen zu verstehen, daß wir es sehr eilig hatten. »Komm jetzt, Thorn!«
    Er stülpte seinen Helm über, griff nach dem Wurfspeer, den er vor dem Essen beiseite gelegt hatte, und rannte hinaus. Ich setzte meinen Helm auf und folgte ihm. In dem Augenblick, als wir das Haus verließen, setzte plötzlich ein ganz neues Geräusch ein. Es klang wie eine Art dumpfes Trommeln, das die ganze Luft um uns herum erzittern ließ.
    Theoderich rannte auf die Straße zu, die direkt auf das Tor zuführte, und ich lief hinter ihm her.

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