Der Greif
einfach nachmachen können, doch hätte ich Wochen mit mühsamer Fälschung
zubringen müssen, um all die Wörter, die Arta
niedergeschrieben hatte, zu imitieren. Immerhin benötigte ich ja nur ein identisches Exemplar der Dokumentenrolle.
Deshalb ging ich in die Küche und lieh mir vom Bäcker den hölzernen Klotz aus, mit dem er Zenos Zeta-Zeichen auf alle Brote stempelte, die er buk und servierte. Ich brachte ihn zurück zum Tisch, faltete mein unbeschriebenes Pergament auf genau die gleiche Weise wie Arta, ließ purpurnes Wachs auf dieselben drei Stellen tropfen und drückte den Holzklotz auf das Wachs. Bei dem auf diese Weise
zustandegekommenen Zeta-Zeichen fehlten zwar die
Schnörkel die das echte Goldsiegel aufwies, doch fiel das nur auf, wenn man ganz genau hinsah. Deshalb brachte ich den Brotstempel in die Küche zurück und brachte dann
meine beiden Pergamentbündel in Amalamenas Gemächer.
In der kurzen Zeit, die ich nur von ihr getrennt gewesen war schien sich der für ihre Krankheit typische eigentümliche Geruch - für mein Empfinden jedenfalls - verstärkt zu haben und ich hoffte, daß er ihr noch nicht auffallen würde. Ich sagte nur: »Hast du dich entschlossen, Amalamena? Alles ist bereit außer Swanilda.«
Sie sah mich mit demselben Gesichtsausdruck an, der mir aufgefallen war, als ich sie vorhin verlassen hatte: ein wenig auf der Hut, ein wenig fragend, vielleicht sogar eine Spur traurig. Mit einem Seufzer sagte sie: »Ich habe immer noch große Schwierigkeiten, an dich als an eine - als an Veleda zu denken.«
Ich zuckte mit den Schultern und sagte leichthin: »Mir geht es auch manchmal so.«
Das war eine Lüge. Selbst in den Momenten, in denen ich mich am meisten als Thorn fühlte, war ich mir auch immer meines anderen Ichs, Veleda, bewußt. Ich hatte davon
Abstand genommen, der Prinzessin alles über mich zu
offenbaren. Ich hatte sie in dem Glauben gelassen, daß ich eine junge Frau sei, die sich nur als Mann verkleidet habe, um mehr Abenteuer zu erleben und bessere
Aufstiegschancen im Leben zu haben.
Sie sagte sehnsüchtig: »Ich hatte mich so an Thorn
gewöhnt. Sogar liebgewonnen hatte ich ihn.«
»Thorn ging es ebenso mit Dir, Amalamena.«
»Der Abschied von ihm wird mir schwerfallen.«
In Anbetracht ihrer Krankheit hätte sie natürlich in jedem Fall schließlich von mir Abschied nehmen müssen, und das war ihr zweifellos auch klar. Ich bemühte mich jedoch, die Tatsache, daß wir unsere Mann-Frau-Beziehung beenden
mußten, in einem eher heroischen als unvermeidlichen Licht erscheinen zu lassen. Ich sagte:
»Bedenke, Amalamena. Du und Thorn habt eine wichtige
Aufgabe, die Vorrang hat vor bloß individuellem Schicksal.
Falls es einem von uns beiden an Willen und Mut bei der Erfüllung dieser Mission mangeln würde, würdest du das nicht noch mehr bedauern?«
»Ja.. ja...« Sie seufzte wieder und straffte ihre schmalen Schultern. »Veleda, du trägst den Namen einer Priesterin der Alten Religion* die vor langer Zeit lebte - einer Frau, die Geheimnisse lüftete. Bevor ich nun also die Erlaubnis erteile, Swanilda gehen zu lassen, könnt Ihr mir sagen, ob sie
Gefahren ausgesetzt sein wird?«
»Wahrscheinlich weniger als wir beide. Das Mädchen ist eine ausgezeichnete Reiterin, und sie und ich haben fast die gleiche Größe. Angetan mit Männerkleidung von mir und auf einem unserer gewöhnlichen Packpferde statt auf dem
Maultier einer Dame reitend, wird Swanilda wie ein
gewöhnlicher Reisender auf der Straße wirken. Auf jeden Fall glaube ich, daß sie die einzige von uns ist, der es gelingen kann, unbemerkt aus Konstantinopel abzureisen.
Dies sind nun also die Anweisungen, die sie von dir
bekommen soll - sie soll in der tiefsten Dunkelheit der Nacht von hier losreiten und sich in größter Eile mit diesem Dokument hier nach Singidunum begeben.«
Ich händigte Amalamena die Pergamentrolle aus, bei der es sich um das echte Vertragsdokument handelte.
»Nun gut«, sagte sie. »Ruft mir Swanilda, damit ich ihr die entsprechenden Befehle geben kann. Ich werde ihr auch
sagen, daß ich an ihrer Stelle eines dieser Chasar-
Dienstmädchen aus dem Palast nehmen werde.« Die
Prinzessin fügte im Befehlston hinzu, mit einem Anflug ihres alten neckischen Mutwillens: »Nun, Veleda, geh und veranlasse, daß ein Pferd und Reiseproviant für sie
vorbereitet werden.«
Ich grinste, verließ unter unterwürfigen Verbeugungen den Raum und suchte Optio Daila auf, um ihm zu
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