Der Greif
erklären,
warum die persönliche Dienerin der Prinzessin um
Mitternacht in Männerkleidung losreiten würde. Ich erzählte ihm auch dieselbe kleine Lüge, die Amalamena Swanilda
mitteilte: daß wir eines der Chasar-Mädchen damit betraut hatten, auf unserer Rückreise für die Prinzessin zu sorgen.
Dann brachte ich einen Krug mit Wein in Amalamenas
Gemach und stählte mich innerlich, um nicht
zurückzuweichen vor dem Geruch der Krankheit im Raum.
Ich traf die Prinzessin wiederum allein an, immer noch im Bett, doch sah sie wieder beinahe so blaß und elend aus wie bei unserer Rückkehr vom Palast.
»Hast du Schmerzen, Amalamena?« fragte ich besorgt.
»Kann ich etwas für dich tun? Habe ich dich zu lange allein gelassen?«
Sie schüttelte matt den Kopf. »Swanilda wechselte ein
letztes Mal meinen Verband, bevor sie ging. Ich muß
gestehen, daß der Anblick meiner - meiner Wunde ohne
Verband nicht angenehm ist.«
»Dann trink hier etwas von diesem guten Byblis-Wein«,
sagte ich und schenkte ihr einen Becher voll ein. »Ich brachte ihn dir, weil ich dachte, er wirke möglicherweise wohltuend und heilsam auf deine Gesundheit, da er von
blutroter Farbe ist. Aber auf jeden Fall ist er stark genug, um deine Melancholie zu vertreiben.«
Amalamena murmelte: »Der Wein ist köstlich, Veleda. Und er ist wahrhaftig blutrot.«
»Ja«, pflichtete ich bei und fügte, um überhaupt etwas sagen zu können, gedankenlos hinzu: »Wahrscheinlich hat er daher seinen Namen. Nach der Nymphe Byblis, die
Selbstmord beging, als alle ihre Versuche, ihren Bruder zu verführen, fehlgeschlagen waren.«
Ich erkannte sofort, welch ein Fehler diese Bemerkung
gewesen war, denn die Prinzessin sah mich mit wütend
funkelnden Augen an.
»Und du, Veleda? « fragte sie, wobei sie diesmal den Namen nicht mit gutmütigem Spott betonte. »Wie erging es dir mit meinem Bruder, niu?« Ihre Augen maßen mit eisigen Blicken meinen spärlich bekleideten Körper. »Sicherlich bist du auch verliebt in ihn.«
Ich breitete die Hände aus. »Aus rein praktischen
Überlegungen heraus habe ich mir stets verboten und werde es auch in Zukunft tun, Theoderich zu lieben oder mir auch nur die geringsten Hoffnungen in bezug auf seine Person zu erlauben. Wenn ich noch offener sein darf, Amalamena,
dann laß mich folgendes noch hinzufügen. Wäre ich wirklich ein Mann oder das Mannweib, für das du Veleda vielleicht hältst, wärst du es, in die ich...«
Sie sagte abrupt: »Das genügt. Ich bedaure, die Frage
überhaupt gestellt zu haben. Es ist lächerlich. Ich streite hier wegen eines Mannes, der mein eigener Bruder ist, und das mit einer Frau, die vorzieht, sich als Mann auszugeben und die jetzt zugibt - väi!« Sie trank ihren Wein aus und sagte düster: »Meine Eltern gaben mir den Namen ›Mond‹ in
weiser Voraussicht. Diese Situation ist an Wahnwitz kaum zu übertreffen.«
»Ne, meine liebe Amalamena«, sagte ich sanft. »Liebe ist kein Wahnwitz. Und wenn du einen Bruder lieben kannst, kannst du es doch sicher auch zulassen, daß eine
Schwester dich liebt.« Ich wartete einen Moment und sagte dann: »Du mußt mir nur sagen, wie.«
Sie machte sich ganz klein in ihrem Bett, zog die Decken fast bis an die Augen, bebte sichtlich und sagte schließlich mit der Stimme eines ganz kleinen Kindes: »Halt mich fest.
Halt mich einfach fest, Veleda. Mein Sterben macht mir solche Angst.«
Und ich hielt sie fest. Ich legte mein Gewand ab, schlüpfte unter die Decken, steckte meine Pergamentrolle unter die Matratze und preßte Amalamena an mich. Außer der
Goldkette, die sie ständig trug, an der die Miniaturausgabe in Gold von Theoderichs Siegel, der goldene Hammer des
Thor und mein Fläschchen mit Jungfrauenmilch hing, hatte die Prinzessin nur noch ein Hüftband um, das so aussah wie meines und das den Verband auf ihrem Unterleib fixierte.
Wie ich schon bei unserem ersten Treffen bemerkt hatte, waren ihre Brüste mädchenhaft, nicht größer als meine
eigenen. Ich konnte sie also ganz eng an mich gedrückt halten, sicher und warm. Und auf diese Weise hielt ich sie die ganze Nacht und in all den Nächten, die uns noch
zusammen blieben. Es war und blieb die einzige Art, auf die wir uns unsere Liebe bewiesen, und wir hatten auch nie das Bedürfnis nach mehr.
Obwohl ich am nächsten Morgen früh aufgestanden war
und mich angekleidet hatte, machte der Oikonomos Myros seine Aufwartung, bevor ich die Gelegenheit gehabt hatte, mit Daila zu sprechen.
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