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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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bin?«
    »Nein, Thorn. Ein Mannamawi - ein Hermaphrodit - warst du von Geburt an. Wie ich diesen Seiten jedoch entnehme, führte Bruder Chrysogonus eine kleine Operation an dir aus.
    Das heißt, er berichtigte deine, hm, Geschlechtsteile. Dies bewahrte dich, wie ich es sehe, vor späteren unangenehmen Folgen, Schmerzen oder gar einer Verunstaltung, die dich zum Krüppel gemacht hätte.«
    »Das verstehe ich nicht, Nonnus.«
    »Ich auch nicht. Jedenfalls nicht ganz. Dieser Bruder
    Chrysogonus war entweder Grieche von Geburt oder er
    wollte in deiner Sache Diskretion bewahren, denn er
    verfaßte seinen Bericht auf Griechisch. Ich kann die Worte zwar lesen, verstehe aber nicht ihre medizinische
    Bedeutung.«
    »Könnt Ihr nicht Bruder Hormisdas bitten, sie Euch zu
    erklären?«
    Der Abt räusperte sich unbehaglich. »Lieber nicht.
    Hormisdas ist ein Arzt, der seinen Beruf mit Leidenschaft ausübt. Er würde dich vermutlich hierbehalten wollen. Zu Studienzwecken oder Experimenten... oder sogar, um dich anderen vorzuführen. Es hat schon Klöster gegeben, die ihrem Ruhm und ihrer Kasse dadurch aufhalfen, daß sie
    Pilger mit dem Versprechen eines... offensichtlichen
    Wunders anlockten.«
    »Einer Kuriosität, meint ihr«, sagte ich rauh.
    »Was auch immer - ich will dir diese Schmach ersparen, mein Kind. Wir werden Bruder Hormisdas nicht bitten, uns den Bericht zu übersetzen. Eines kann ich dir immerhin sagen. Bruder Chrysogonus schreibt, er habe einen kleinen Eingriff vorgenommen und die Bänder durchtrennt, die dein, hm, Organ in einer abnormal gekrümmten Form festhielten.
    Wie ich schon sagte, Thorn, du solltest ihm dankbar sein.«
    »Hat er noch etwas über mich geschrieben?«
    »Er war überzeugt, daß du Kinder weder zeugen noch
    gebären kannst... obwohl du äußerlich die... die Anlagen dazu hast.«
    »Ich freue mich, das zu hören«, murmelte ich. »Dann
    brauche ich nicht zu fürchten, ein zweites Wesen wie mich in die Welt zu setzen.«
    »Doch diese Tatsache erlegt dir eine weitere
    Beschränkung auf, Thorn, und keine kleine. Die Menschen essen, damit sie leben, und sie pflanzen sich fort, damit sie nicht aussterben. Die Fortpflanzung ist für unsere Mutter Kirche der einzige Grund für den Geschlechtsverkehr. Da du nie Kinder haben kannst, wäre es eine Todsünde für dich, mit einem anderen Menschen - egal ob Mann oder Frau -
    geschlechtlichen Umgang zu haben. Deine bisherige
    Unwissenheit und Unschuld spricht dich von den Sünden
    frei, die du begangen hast. Doch nun, da du alles weißt, mußt du in Keuschheit leben.«
    »Aber Gott muß doch einen Grund gehabt haben, mich als Mannfrau zu schaffen, Nonnus Clemens«, sagte ich bittend, fast wie eine Frau. »Was hat er mit mir vor? Was soll ich mit meinem Leben anfangen?«
    »Hm... Soviel ich weiß, legt die Mischna der Juden Regeln für das gesellschaftliche und religiöse Leben eines
    Hermaphroditen fest. Unsere Schriften tun dies nicht. Ich mache dir einen Vorschlag, Thorn. Die Arbeit, die du als Schreiber geleistet hast, als wir dich in St. Damian noch für einen von uns hielten, war vielversprechend. Ich brauche dir nicht zu sagen, daß ein weiblicher Schreiber etwas
    Unvorstellbares und Unnatürliches wäre. Was ich dir also rate: Wenn du dich bei einem anderen Abt oder Bischof
    irgendwo weit weg als Mann vorstellen würdest, wenn du ehelos bliebest und stets darauf bedacht wärst, deine
    Weiblichkeit zu verbergen, dann könnte ich mir vorstellen, daß du dort eine befriedigende Arbeit als Kopist findest.«
    »Und wenn ich sterbe«, sagte ich bitter, »werde ich nichts hinterlassen als Abschriften der Worte anderer. Und
    während meines traurigen Erdenlebens muß ich jede
    normale menschliche Regung unterdrücken, ja sogar die
    Hälfte der mir von Gott gegebenen Natur.«
    Der Abt runzelte die Stirn und sagte dann streng: »Ein Christ muß nach dem Höchsten streben. Er kann
    vollkommen sein, deshalb ist es seine sittliche Pflicht, nach Vollkommenheit zu streben - moralisch, geistlich, geistig, ja selbst körperlich. Wer absichtlich in Unvollkommenheit verharren will, handelt verwerflich und macht sich schuldig.«
    Entsetzt starrte ich ihn an. »Ihr glaubt an die
    Jungfrauengeburt, Nonnus Clemens, Ihr glaubt an die
    Auferstehung von den Toten, und Ihr glaubt, daß Engel
    weder männlich noch weiblich sind. Warum bin
    ausgerechnet ich ein widernatürliches Wesen?«
    »Schweig, Thorn! Lästere nicht Gott und seine Engel!«
    Mühsam versuchte der Abt den

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