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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Tod überlassen. Sie ziehen nur die Mädchen groß.
    Noch nie hat ein König eine Streitmacht losgeschickt, um diesen Stamm auszulöschen. Welcher Krieger wäre schon
    bereit, gegen sie zu kämpfen? Falls er nicht auf der Stelle getötet, sondern nur verwundet würde, dann könnte er kaum darauf hoffen, als ihr Gefangener am Leben zu bleiben oder vielleicht sogar irgendwann freigelassen zu werden. Wer würde schon von Frauen Gnade erwarten, die imstande
    sind, ihre eigenen kleinen Söhne zu töten?«
    »Was für ein Unsinn!« sagte Genoveva ungeduldig, dann
    wandte sie sich an mich: »Warum hörst du dir Balgsdaddja an, das nichts mit unserem Vorhaben zu tun hat? Es ist schon lange Schlafenszeit, Thorn, laß uns auf unser Zimmer gehen.«
    Der Rumäne schaute sie erneut an. »Ein Sprichwort
    unserer Gegend lautet: Wer sich seine Zunge verbrennt und seinen Tischgenossen nicht sagt, daß die Suppe
    brühendheiß ist, ist kein redlicher Mann. Und ich gebe mir Mühe, ein redlicher Mann zu sein.«
    »Trotzdem würde ich gar zu gerne herausfinden, ob diese Frauen schön sind«, sagte ich halb im Scherz.
    Genoveva warf mir einen zornigen Blick zu, und der
    Rumäne, der sie jetzt nachdenklich anschaute, sagte nur noch: »Selbst die appetitlichste Suppe kann brühendheiß sein.«
    Auch viele gotische Wirte warnten uns vor diesem Stamm.
    Sie nannten die Amazonen Bagaqinons, was »Kriegsfrauen«
    bedeutet. Ich verbrachte sogar einen ganzen Tag in einem slowenischen Dorf, nur um die Leute dort ebenfalls zu
    fragen, ob sie etwas von diesem Stamm wüßten. Auch sie kannten und fürchteten diese Frauen. Das slowenische Wort für diesen Stamm klang so ähnlich wie Pozorzheni; das
    bedeutete ungefähr: »Frauen, vor denen man sich in Acht nehmen muß.« Alle, die uns von diesem Stamm erzählten, gaben übereinstimmend an, daß er die Weidegebiete östlich des Tyras bewohne, und alle warnten uns gleichermaßen
    eindringlich davor, diese Gegend zu betreten.
    8
    Als Genoveva, Made und ich ungefähr einhundertachtzig
    römische Meilen das Tal des Pyretus hinaufgeritten waren, machte der Fluß eine scharfe Biegung nach Westen. Wir
    ließen den Fluß hinter uns und ritten durch eine
    Hügellandschaft weiterhin direkt nach Norden. Nach ein paar Meilen erreichten wir das Tal des Tyras und folgten dem Fluß in nordwestliche Richtung. Wir ritten das westliche Ufer entlang; nicht so sehr wegen der vielen Warnungen, sondern weil wir schlicht keinen Grund und kein Bedürfnis hatten, den Fluß zu durchqueren.
    In dieser Gegend gab es nur wenige Dörfer, dafür aber
    Wild und Fische im Überfluß. Genoveva wußte unsere
    Jagdbeute zwar immer äußerst delikat zuzubereiten, aber sie schmollte und murrte stets beim Kochen. Jedesmal,
    wenn wir an einem Gasthaus vorbeikamen, bestand sie
    darauf, dort zu essen und zu übernachten, selbst wenn es nur eine slowenische Krchma war. Ich willigte schon allein deswegen ein, weil ich Made und mir ihre ständigen Klagen über die Küchenarbeit ersparen wollte. Auch in diesen
    Herbergen lernten wir so manches hinzu. Die Slowenen
    dieser nördlichen Region schienen sich hauptsächlich von dicken Suppen zu ernähren, die die Wirte auch ihren Gästen servierten. Die Zutaten waren teilweise recht ungewöhnlich.
    So aßen wir unter anderem Sauerampfersuppe, Biersuppe, Suppe aus saurem Roggen, ja sogar eine Suppe aus
    Rinderblut und Kirschen, und all diese Suppen schmeckten zu unserer Überraschung vorzüglich.
    In einer Krchma war außer uns noch ein weiterer
    Reisender zu Gast. Er war zwar ein Rugi und konnte als solcher leicht zum Feind meines Königs und damit auch zu meinem Feind werden, ich freute mich jedoch trotzdem,
    seine Bekanntschaft zu machen weil er der erste
    Bernsteinhändler war, den ich je getroffen hatte Seine kostbare Ware, die er auf ein Packpferd geladen hatte, bot er nur auf Märkten an, auf denen sie sich auch verkaufen ließen. Stolz zeigte der Mann mir durchscheinende
    Bernsteinstücke in verschiedenen Farbtönen. Die hellsten schimmerten blaßgelb, andere waren goldfarben bis rötlich, während die dunkelsten die Farbe von Bronze hatten. In einige der Brocken waren Blütenblätter, Stücke eines
    Farnblatts oder ganze Libellen eingeschlossen und auf diese Weise für immer erhalten. Meine Bewunderung war
    grenzenlos. Schließlich rief ich Made aus dem Stall herein und stellte ihn dem Händler vor. Den ganzen Abend saßen wir drei vor dem Kaminfeuer der Herberge und tranken
    mehrere Krüge Bier.

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