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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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er bedeute: die Hübsche. Erneut konnte ich mir das Lachen kaum verkneifen.
    Nach einer Weile erreichten wir die Lichtung, auf der ihr Stamm unter freiem Himmel lebte. Ghashang band mein
    Pferd an, und einige ihrer Schwestern rannten neugierig neben uns her, als sie mich anschließend durch eine
    schützende Baumreihe hindurch zu einer angrenzenden,
    kleineren Lichtung führte, die Modar Lubo als ›Freiluftpalast‹
    diente. Wie die andere Lichtung war auch diese mit
    Essensresten und anderem Abfall übersät; Modar Lubos
    Wohnstätte konnte jedoch immerhin zwei
    Einrichtungsgegenstände aufweisen: über ihren Schlafplatz hatte man zwischen zwei Bäumen ein Dach aus struppigem Hirschfell gespannt; außerdem stand mitten auf dem Platz ein ›Thron‹, der aus einem riesigen, verwitterten und von den Jahren ausgehöhlten Baumstumpf grob zurechtgehackt worden war. Auf ihm thronte nun imposant die mächtige
    Gestalt Modar Lubos, ja sie quoll geradezu über den Thron hinaus. Als ich diese älteste Amazone erblickte, zweifelte ich nicht mehr daran, daß sie tatsächlich auch die fürchterlichste von allen war.
    War jede ihrer Töchter schon ungefähr so häßlich wie ein Auerochse, so erinnerte sie an jenes Fabelwesen, das sich abergläubische Heiden früher unter dem sagenhaften
    Drachen vorgestellt haben. Die ledrige Haut von Mutter Liebe war nicht nur, wie die vieler alter Frauen, zerknittert und fleckig, sondern hing zudem noch in beutelartigen
    Lappen herunter, die wie Saurierschuppen aussahen, und beulte sich an vielen Stellen zu Warzen und Geschwulsten aus. Ihre flachen, alten Brüste sahen so hart aus wie zwei Platten einer Rüstung; ihre Finger- und Fußnägel hatten die Länge von Krallen, und die paar Zähne, die sie noch
    besaß, waren beinahe so lang und dick wie die Hauer eines Wildschweins. Vom Körperumfang her übertraf sie selbst die dickste ihrer Töchter noch bei weitem. Sie war auch viel stärker behaart als die anderen; außer der verkrusteten, grauen Matte, die auf ihrem Kopf wuchs, hingen ihr zu
    beiden Seiten des Mundes Haarbüschel herunter, die an die Bartfäden von Fischen erinnerten. Ihr Atem war zwar nicht sichtbar wie das Feuer eines Drachen, roch dafür jedoch ranzig genug, um jeden Gegner auf acht Schritt Abstand zu halten.
    Die anderen Frauen hatten mich nur schief von der Seite angesehen; sie jedoch starrte mir haßerfüllt direkt ins Gesicht, als ich ihr meinen Namen nannte und die
    Geschichte wiederholte, die ich mir für Ghashang
    ausgedacht hatte. Ich hatte erst wenige Worte gesprochen, als sie mir schon etwas entgegenknurrte, was sich wie eine Frage anhörte: »Zaban ghadim, baladid?« Als ich sie
    daraufhin nur verständnislos anblickte, fragte sie auf Gotisch: »Du sprichst nicht die alte Sprache?«
    Da ich wieder nicht verstand, was sie damit meinte, sagte ich nur etwas verwirrt: »Doch, ich spreche die alte Sprache, die Ihr soeben benutzt habt, Modar Lubo.«
    Sie schürzte geringschätzig die Lippen, entblößte ihre Stoßzähne und höhnte: »Eine Stadtfrau!« Dann deutete sie mir mit einem gebieterischen Wink ihrer Pranke an, daß ich weitererzählen solle.
    Ich fuhr mit meiner Geschichte fort, malte jedoch ihr
    gegenüber die Niederträchtigkeiten meines erfundenen
    Ehemannes noch viel drastischer aus. Ich betonte
    insbesondere, wie sehr ich jedesmal, wenn er von seinen ehelichen Rechten Gebrauch machte, das Gefühl gehabt
    hätte, mir werde Gewalt angetan. Und da ich vorgab, die Abscheu der Amazonen vor dem Geschlechtsverkehr zu
    teilen, senkte ich vorsichtig meinen Kopf, damit Mutter Liebe die Venusfalte um meinen Hals nicht sehen konnte, denn es hätte ja sein können, daß sie wußte, was diese Falte über die wirklichen Neigungen einer Frau aussagte. Nachdem ich meinen angeblichen Ehemann als ein wahres Monstrum an
    Gewalttätigkeit und Lüsternheit geschildert hatte, schloß ich mit dem folgenden Satz: »Ich bitte Euch und Eure Töchter, mir Zuflucht zu gewähren, Modar Lubo, und ich bitte Euch zudem um Schutz, weil dieser hassenswerte Mann das
    Werkzeug, in das er so gerne seine lüsternen Säfte ergoß, nicht so ohne weiteres aufgeben wird. Er wird mir
    wahrscheinlich voller Gier folgen.«
    Sie verlagerte ihre Körperfülle ein wenig von einer
    Thronseite auf die andere und murrte gereizt: »Kein Mann, der bei Verstand ist, würde jemals hierherkommen.«
    »Ach, Ihr kennt meinen Mann nicht«, sagte ich.
    »Möglicherweise erscheint er verkleidet. Er hat sich zu einem

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