Der Greif
scheint nicht tödlich zu sein, Maghib«,
sagte ich. »Hier ist auch schon der Arzt. Laß ihn deine Wunde versorgen und dich gesundpflegen. Wenn du wieder kräftig genug bist, dann setze deine Reise zur
Bernsteinküste fort. Du mußt nur zum Bug reiten und diesem Fluß dann stromabwärts folgen. Ich werde zu dir stoßen, sobald ich meine Rechnung mit der Person beglichen habe, die uns verraten hat.«
Ich überließ Maghib der Obhut des Arztes und hinterlegte beim Wirt der Herberge genügend Geld für seine
Verpflegung und Betreuung. Dann belud ich Velox mit
meinem Gepäck und ritt ebenfalls nach Osten - in das Land der Sarmaten und zu den Frauen, vor denen man sich in
Acht nehmen mußte.
9
Sarmatien ist eine große Region ohne feste Grenzen, der westlichste Zipfel Asiens. In ihrem Osten erstreckt sich das riesige Asien, dessen Grenzen nicht einmal die
Kartographen kennen. Ich mußte jedoch nicht dieses ganze Gebiet durchforsten, um Genoveva zu finden, falls sie
tatsächlich bei den Amazonen Zuflucht suchen wollte, denn diese Amazonen oder Bagaqinons oder Viramne oder
Pozorzheni oder wie immer sie sich auch nannten, konnten ja nicht allzuweit von Lviv entfernt leben, da sie jedes Jahr ein paar Abgesandte mit Otterpelzen und Süßwasserperlen dorthin schickten. Im Gegensatz zu Genoveva wußte ich
also, womit sie handelten, und konnte mir daher
ausrechnen, daß sie irgendwo in der Nähe eines klaren, schnell fließenden Stromes leben mußten.
Als ich nach zwei Tagen die letzten Häuser Lvivs und die außerhalb der Stadt liegenden Bauernhöfe hinter mir
gelassen hatte und mich bereits mitten in einem tiefen Nadelwald befand, legte ich Thorns Rüstung ab und
verwandelte mich wieder in Veleda, denn die Gefahr, von den Amazonen sofort abgelehnt zu werden, war sicher
geringer, wenn ich ihnen als Frau gegenübertrat. Anders als Genoveva wußte ich ja auch, wie diese Amazonen sich
kleideten. Meine neue Kluft war also auf geradezu
schamlose Art weiblich: bis auf eine Busenbinde, die ich mir unter meine Brüste band, um sie höher und voller
erscheinen zu lassen, war mein Oberkörper frei, und ich war sehr froh, daß das warme Klima des gerade einsetzenden Herbstes dies noch zuließ.
Nach ungefähr sechs Tagen erreichte ich einen ziemlich breiten, herrlich klaren und munter vor sich hin fließenden Strom, der Ottern geradezu ideale Lebensbedingungen bot, daher beschloß ich, dem Fluß ein oder zwei Tage lang
stromabwärts zu folgen. Sollte ich auf dieser Strecke
keinerlei Spuren von Menschen finden, dann wollte ich den Fluß überqueren und auf der anderen Seite wieder
hinaufreiten. Velox lief beinahe so leise wie ein Wolf das mit Moos und weichem Gras bedeckte Ufer entlang, und ich
schaute mich immer wieder wachsam um, während ich unter Pinien hindurchritt, deren lange Äste über das Wasser
ragten. Schon bald stellte sich jedoch heraus, daß ich nicht wachsam genug gewesen war.
Lautlos huschte plötzlich etwas an meinem Gesicht vorbei und an meinem Oberkörper entlang; dann schnürte sich
dieses Etwas direkt unterhalb meiner Brüste schmerzhaft um mich herum, so daß meine Arme eng an den Körper gepreßt wurden. Noch bevor ich begriff, was geschah, wurde ich bereits mit einem heftigen Ruck aus dem Sattel gerissen. Ich fiel nicht zu Boden, sondern hing frei in der Luft, während Velox zunächst gemächlich ohne mich weiterlief, bald darauf jedoch anhielt, weil er mein Gewicht nicht mehr spürte, und überrascht zu mir zurückkehrte. Ich hörte das Rascheln von Laub und sah jemanden einen Baum hinunterklettern, an
dem er offensichtlich das andere Ende des Seils befestigt hatte, sobald mein Gewicht daran zog. Ich war kaum
überrascht, als ich erkannte, daß es eine Frau war, die sich da von einem Ast herunter auf ihre Füße plumpsen ließ und mich sogleich mit finsteren Blicken durchbohrte.
Ich weiß, daß Homer, Herodotus und viele Erzähler nach ihnen die Amazonen in ihren Legenden als schöne Frauen beschrieben haben, und war daher neugierig, ob sie die Wahrheit erzählt hatten. Nun, leider muß ich die Verfechter solcher Legenden enttäuschen, denn diese Amazonen
waren alles andere als schön. Frauen die ihr ganzes Leben in der Wildnis verbringen, die sommers wie winters im Freien hausen und die, um zu überleben, all die harten Arbeiten selbst verrichten müssen, die sonst Männer tun, gleichen offensichtlich eher wilden Tieren als schönen, anmutig jagenden Dianas. Die erste, die ich jetzt
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