Der Greif
geschickten Transvestiten entwickelt, falls Ihr wißt, was das bedeutet, Mutter; auf Lateinisch heißt so jemand: transvestitus muliebris. Er gewöhnte sich an, meine Kleider zu tragen, und nach einer Weile sah er darin aus wie eine richtige Frau. Er ließ sich von unserem Arzt in Lviv sogar zwei Taschen in die Haut seiner Brust schneiden, in die er dann Wachspolster einführen konnte; und zwar... hier... und hier...«
Ich holte tief Luft, um meine Brüste stärker hervortreten zu lassen; und um zu beweisen, daß meine echt waren, stubste ich sie mit einem Finger an, bis sich ihre Haut leicht zu kräuseln begann. Der alte Drachen riß seine kleinen
Saurieraugen so weit auf, daß sie beinahe menschlich
wirkten, und die anderen Waliskarja, die sich inzwischen um uns versammelt hatten, schauten mich ebenfalls mit großen Augen an.
Seufzend fügte ich hinzu: »Manchmal ging er sogar in
seiner Verkleidung auf die Straße und wurde von Fremden tatsächlich für eine Frau gehalten.«
»Uns könnte er nicht täuschen! Oder, meine Töchter?«
Alle schüttelten energisch ihre bulligen Köpfe. »Auch wenn er das Aussehen und das Benehmen einer Frau hat, so
können wir ihn mit einem Feuerchen ganz leicht enttarnen, Wachs schmilzt und brennt.«
Ihre Töchter nickten heftig und blökten: »Bach! Bach!«
Das schien ein Ausdruck der Zustimmung zu sein, also rief auch ich: »Macte virtute! Was für eine hervorragende Idee, Mutter!«
»Und du?« fragte sie und starrte mich lange eindringlich und finster an. »Was hast du uns außer deinem feinen Pferd und deinen lateinischen Sprüchen sonst noch anzubieten?«
»Ich war nicht immer eine Stadtfrau«, sagte ich. »Ich kann sehr gut jagen, fischen und Fallen stellen...«
»Aber dir fehlt das gute, kräftige Fett auf dem Körper, das du brauchst, um in sehr kaltem Wasser nach Flußperlen zu tauchen. Schau zu, daß du etwas Fleisch auf deine dürren Rippen bekommst. Und nun erzähl mir mal, was du
überhaupt von uns Waliskarja weißt.«
»Nun... ich habe viele Geschichten über euch gehört, weiß allerdings nicht, welche davon wahr sind.«
»Du sollst erfahren, wer wir sind.« Sie zeigte auf eine der Frauen. »Das ist Morgh, sie ist, was man in deiner Sprache eine Ketabzadan nennt; sie trägt die alten Lieder vor. Heute abend wird sie für dich singen. Auf diese Weise lernst du auch schon unsere alte Sprache ein wenig kennen.«
»Heißt das, daß Ihr mich aufnehmt?«
»Vorerst einmal. Ob du bleiben wirst, wird sich noch
zeigen. Hast du in Lviv irgendwelche Kinder
zurückgelassen?«
Diese Frage überraschte mich, aber ich antwortete
wahrheitsgemäß mit: »Nein.«
»Bist du unfruchtbar?«
Ich hielt es für das beste, erneut meinen bereits
ausreichend belasteten Ehemann zu bezichtigen. »Nein,
wahrscheinlich ist er es. Angesichts seiner Perversionen und all seiner anderen...«
»Wir werden sehen.« Dann sagte sie zu der Frau, die mich gefangengenommen hatte: »Ghashang, du bist mir in
Zukunft für sie verantwortlich. Laß den Kutriguri ausrichten, daß wir eine Befruchtung wünschen. Wenn der von ihnen
auserwählte Mann hier eintrifft, dann steck ihn gleich mit der da zusammen.« Und zu mir sagte sie: »Wenn du empfängst, kannst du bleiben.«
Diese Aufnahmebedingung erschien mir doch recht hart.
Einer soeben vor den Zudringlichkeiten ihres eigenen
Ehemannes geflohenen Frau wurde nun zugemutet, sich
einem völlig fremden Mann hinzugeben; und dazu noch
einem vom Stamme der Kutriguri, die so gelbhäutig, verlaust und häßlich waren wie die Hunnen. Ich sagte jedoch nichts, sondern machte nur eine zustimmende Verbeugung.
»Gut. Dann bist du hiermit entlassen. Ihr anderen könnt ebenfalls gehen. Eure Mutter möchte sich jetzt ein wenig ausruhen.«
Sie erhob sich mit einen heftigen Ruck von ihrem Thron und stampfte zu ihrer Schlafstelle hinüber. Nun konnte ich sehen, daß der große Thronstuhl mit Haut überzogen war, die man wohl zum Schmuck mit vielen Farben beschmiert
hatte. Die recht abgenutzte und an den Ecken schon
durchgescheuerte und ausgefranste Haut war so dünn und geschmeidig, daß sie unmöglich von einem Tier stammen
konnte. Es handelte sich um die Haut eines Menschen.
Nach einer Legende sollen die Goten, als sie sich hier niederließen einige bösartige Frauen gewaltsam aus ihrer Mitte vertrieben haben, weil diese das Zusammenleben des Stammes gestört hatten. Die Ausgestoßenen sollen über
ihre Vertreibung so empört gewesen sein, daß
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