Der Greif
meiner vertrauenswürdigen Palastwachen werden Euch begleiten. Sie werden Frido nicht nur
beschützen, sondern vor allem auch dafür sorgen, daß Ihr nie mit ihm alleine seid, damit Ihr den Widerspruchsgeist, den Ihr bewußt in ihm geweckt habt, nicht noch weiter
anstacheln könnt. Nach dieser Reise, Marschall, werdet Ihr Pomore verlassen. Und wenn Frido nach seiner Rückkehr
auch nur die geringste Spur von Aufsässigkeit an den Tag legt, dann werde ich Euch mit einem in Streifen gepeitschten Rücken aus der Stadt jagen lassen. Habt Ihr mich
verstanden?«
Diese Drohung flößte mir keine allzu große Angst ein,
denn ich hatte nicht die Absicht, mich auspeitschen zu lassen. Ich mußte jedoch ehrlich zugeben, daß ich für das, was ich vorhatte, tatsächlich die Peitsche verdiente, denn ich war nicht nur im Begriff, eine gotische Stammesschwester zu hintergehen, sondern sogar bereit, noch viel
grundlegendere und unantastbarere Gesetze zu verletzen als die meines gotischen Volkes: Ich würde mich schon bald auf sträflichste Weise gegen alle Gesetze der
Gastfreundschaft versündigen.
12
Der Besitzer des Frachtschiffes war immer noch gegen
diese Reise. Er empfing uns mißmutig und machte sogleich weitere Einwände. Vielleicht hätte er sich noch in letzter Minute eine Ausrede ausgedacht oder sogar ein Loch in die Planken seines Schiffes geschlagen, wenn nicht Königin Giso, die mit uns zu den Docks gekommen war, sich in
kürzester Zeit bei allen Anwesenden so unbeliebt gemacht hätte, daß jeder von ihnen das Sarmatische Meer einem
weiteren Aufenthalt in der Hauptstadt dieser Königin
vorgezogen hätte. Schließlich erhob unser Seemann
resignierend die Hände, denn ihm blieb nichts anderes übrig als seinen Ruderern zu befehlen, ihre Plätze auf den Bänken unter Deck einzunehmen und sich in die Riemen zu legen.
Je weiter wir nach Norden fuhren, desto kälter wurde es.
Es wehte inzwischen ein äußerst scharfer, eisiger Wind, und der Himmel über uns war nun von bleischweren, dunklen
Wolken verhängen. War das Meer direkt am Wendischen
Golf schon eine trübe Brühe gewesen, so war es jetzt bereits ein dicker Brei aus Eisklumpen. Die Gesänge der Ruderer, die sich mit aller Kraft gegen diesen Matsch stemmen
mußten, wurden immer langsamer und schwächer. Die
Rudergänger im Heck, die während der ersten drei oder vier Tage unserer Reise lediglich unser Schiff auf Nordkurs hatten halten müssen, bekamen nun ebenfalls viel zu tun.
Sie mußten beinahe ununterbrochen ihre Steuerruder
betätigen, um das Schiff um große, im Wasser
umhertreibende Eisbrocken herumzulotsen, die von den
Seeleuten »Toross« genannt wurden. Die von den
übereinandergeschobenen und hoch aufgetürmten Schollen gebildeten riesigen, grauen Eisberge waren so groß und oft auch so hoch wie unser ganzes Schiff.
Selbst Frido, der diese Reise mit soviel Begeisterung
angetreten hatte, ging jetzt nur noch jeden Morgen einmal kurz an Deck, um nachzuschauen, ob das Meer inzwischen vielleicht einen lohnenderen Anblick bot. Da die Aussicht jedoch stets die gleiche blieb, verbrachte er die meiste Zeit mit mir und dem Besitzer des Schiffs unter Deck. Wir saßen meist bei einem Bier zusammen, und Frido übersetzte mir alles, was der Seemann sagte. Die vier Palastwachen
Königin Gisos nahmen nie an unserer Runde teil und
bemühten sich auch sonst nicht, dem Befehl ihrer Königin zu gehorchen, indem sie Frido und mich mit Gewalt
auseinanderhielten. Die dicken, alten Männer wußten
wahrscheinlich, daß sie von mir über Bord geworfen worden wären, wenn sie das versucht hätten. Der Seemann und ich redeten meist über belanglose Dinge, er erzählte mir jedoch auch etwas, was für meine historischen Aufzeichnungen von Interesse war, und erwähnte auch einen Namen, den ich auf meine Liste früher gotischer Könige setzen konnte.
»Ein gotischer König namens Berig befehligte die Schiffe, die die Goten von Gotland zum Kontinent brachten. In den alten Gesängen werden nur drei Schiffe erwähnt, ich glaube jedoch, daß sie mit wesentlich mehr Schiffen, vielleicht sogar mit einer ganzen Flotte, losgefahren sind. Wären es wirklich nur drei gewesen, dann müßten die so groß wie Noahs
Arche gewesen sein. Ich habe mich manchmal gefragt, was nach der Überfahrt wohl aus all diesen Schiffen geworden ist. Hat Berig sie einfach am Wendischen Golf
zurückgelassen? Oder haben die Kahnführer sie leer nach Gotland zurückgebracht? Aber ach, die
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