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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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meiner vertrauenswürdigen Palastwachen werden Euch begleiten. Sie werden Frido nicht nur
    beschützen, sondern vor allem auch dafür sorgen, daß Ihr nie mit ihm alleine seid, damit Ihr den Widerspruchsgeist, den Ihr bewußt in ihm geweckt habt, nicht noch weiter
    anstacheln könnt. Nach dieser Reise, Marschall, werdet Ihr Pomore verlassen. Und wenn Frido nach seiner Rückkehr
    auch nur die geringste Spur von Aufsässigkeit an den Tag legt, dann werde ich Euch mit einem in Streifen gepeitschten Rücken aus der Stadt jagen lassen. Habt Ihr mich
    verstanden?«
    Diese Drohung flößte mir keine allzu große Angst ein,
    denn ich hatte nicht die Absicht, mich auspeitschen zu lassen. Ich mußte jedoch ehrlich zugeben, daß ich für das, was ich vorhatte, tatsächlich die Peitsche verdiente, denn ich war nicht nur im Begriff, eine gotische Stammesschwester zu hintergehen, sondern sogar bereit, noch viel
    grundlegendere und unantastbarere Gesetze zu verletzen als die meines gotischen Volkes: Ich würde mich schon bald auf sträflichste Weise gegen alle Gesetze der
    Gastfreundschaft versündigen.
    12
    Der Besitzer des Frachtschiffes war immer noch gegen
    diese Reise. Er empfing uns mißmutig und machte sogleich weitere Einwände. Vielleicht hätte er sich noch in letzter Minute eine Ausrede ausgedacht oder sogar ein Loch in die Planken seines Schiffes geschlagen, wenn nicht Königin Giso, die mit uns zu den Docks gekommen war, sich in
    kürzester Zeit bei allen Anwesenden so unbeliebt gemacht hätte, daß jeder von ihnen das Sarmatische Meer einem
    weiteren Aufenthalt in der Hauptstadt dieser Königin
    vorgezogen hätte. Schließlich erhob unser Seemann
    resignierend die Hände, denn ihm blieb nichts anderes übrig als seinen Ruderern zu befehlen, ihre Plätze auf den Bänken unter Deck einzunehmen und sich in die Riemen zu legen.
    Je weiter wir nach Norden fuhren, desto kälter wurde es.
    Es wehte inzwischen ein äußerst scharfer, eisiger Wind, und der Himmel über uns war nun von bleischweren, dunklen
    Wolken verhängen. War das Meer direkt am Wendischen
    Golf schon eine trübe Brühe gewesen, so war es jetzt bereits ein dicker Brei aus Eisklumpen. Die Gesänge der Ruderer, die sich mit aller Kraft gegen diesen Matsch stemmen
    mußten, wurden immer langsamer und schwächer. Die
    Rudergänger im Heck, die während der ersten drei oder vier Tage unserer Reise lediglich unser Schiff auf Nordkurs hatten halten müssen, bekamen nun ebenfalls viel zu tun.
    Sie mußten beinahe ununterbrochen ihre Steuerruder
    betätigen, um das Schiff um große, im Wasser
    umhertreibende Eisbrocken herumzulotsen, die von den
    Seeleuten »Toross« genannt wurden. Die von den
    übereinandergeschobenen und hoch aufgetürmten Schollen gebildeten riesigen, grauen Eisberge waren so groß und oft auch so hoch wie unser ganzes Schiff.
    Selbst Frido, der diese Reise mit soviel Begeisterung
    angetreten hatte, ging jetzt nur noch jeden Morgen einmal kurz an Deck, um nachzuschauen, ob das Meer inzwischen vielleicht einen lohnenderen Anblick bot. Da die Aussicht jedoch stets die gleiche blieb, verbrachte er die meiste Zeit mit mir und dem Besitzer des Schiffs unter Deck. Wir saßen meist bei einem Bier zusammen, und Frido übersetzte mir alles, was der Seemann sagte. Die vier Palastwachen
    Königin Gisos nahmen nie an unserer Runde teil und
    bemühten sich auch sonst nicht, dem Befehl ihrer Königin zu gehorchen, indem sie Frido und mich mit Gewalt
    auseinanderhielten. Die dicken, alten Männer wußten
    wahrscheinlich, daß sie von mir über Bord geworfen worden wären, wenn sie das versucht hätten. Der Seemann und ich redeten meist über belanglose Dinge, er erzählte mir jedoch auch etwas, was für meine historischen Aufzeichnungen von Interesse war, und erwähnte auch einen Namen, den ich auf meine Liste früher gotischer Könige setzen konnte.
    »Ein gotischer König namens Berig befehligte die Schiffe, die die Goten von Gotland zum Kontinent brachten. In den alten Gesängen werden nur drei Schiffe erwähnt, ich glaube jedoch, daß sie mit wesentlich mehr Schiffen, vielleicht sogar mit einer ganzen Flotte, losgefahren sind. Wären es wirklich nur drei gewesen, dann müßten die so groß wie Noahs
    Arche gewesen sein. Ich habe mich manchmal gefragt, was nach der Überfahrt wohl aus all diesen Schiffen geworden ist. Hat Berig sie einfach am Wendischen Golf
    zurückgelassen? Oder haben die Kahnführer sie leer nach Gotland zurückgebracht? Aber ach, die

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