Der Greif
Kampf
Strategien kennen.«
»Nun, Odoaker auch. Er hat in seinem Leben genug
germanische Stämme bekämpft. Nein, daran dachte ich
nicht. Ich überlegte nur - wenn dieser General Tufa von derselben Herkunft ist wie unser junger König Friderich, wäre es dann nicht möglich, daß er sich von einem
rugischen Landsmann umstimmen ließe...«
»Du meinst, er würde Odoaker verraten? Das römische
Verteidigungssystem untergraben? Vielleicht sogar die Front wechseln?«
»Es ist reizvoll, darüber nachzudenken, aber verlassen kann ich mich darauf nicht.« Theoderich ließ an dieser Stelle das Thema fallen, weil wir bei den stromaufwärts postierten Truppen angelangt waren, die darauf warteten, bei Bedarf den Wald zu roden, und er sagte zum Befehlshaber: »Eure Männer können anfangen, Dekurio. Selbst wenn wir den
Fluß hier durchwaten könnten, wären wir zu weit nördlich.
Eure Männer sollen uns genug Baumstämme schneiden, für den Fall, daß wir sie brauchen. «
Der Dekurio bellte irgendwelche Befehle in die Nacht
hinein, und wenige Augenblicke später hörten wir die ersten Axtschläge. Kurz darauf sagte Theoderich plötzlich: »Schau mal, Thorn!« und zeigte auf das gegenüberliegende Ufer.
Dort war die Dunkelheit auf einmal von einem Licht
durchbrochen, dann von zweien, dann von vielen.
»Fackeln«, sagte ich.
»Das sind die polybischen Signale«, erwiderte Theoderich.
»Fackelschwinger auf jenen Terrassen, von denen man uns berichtet hat.« Er stieg von seinem Pferd. »Laß uns einen Platz auf der Lichtung suchen, von wo aus wir besser sehen und lesen können, was sie zu sagen haben.«
»Ich konnte nicht einmal die Leuchtturmfeuer von
Konstantinopel lesen«, gestand ich, als wir uns am Ufer niederließen.
»Das polybische System ist recht einfach. Licht des
Nachts und Rauch bei Tag. Die zwanzig Buchstaben des
römischen Alphabets sind in fünf Vierergruppen aufgeteilt. A, B, C, D und dann E, F, G, H und so weiter. Die fünf Fackeln auf der linken Plattform dort drüben zeigen die Gruppe an.
Siehst du? Eine der Fackeln wird für einen Augenblick über die anderen erhoben. Auf der rechten Plattform wird eine der vier Fackeln erhoben, um anzuzeigen, um welchen
Buchstaben es sich handelt.«
»Ja, jetzt kann ich es erkennen«, sagte ich. »Auf der
linken Seite wird die zweite Fackel erhoben. Auf der rechten Seite die erste. Und nun sind alle wieder auf gleicher Höhe.
Jetzt auf der linken Seite die erste Fackel. Auf der rechten Seite die vierte.«
»Sprich weiter«, sagte Theoderich und beugte sich zur
Erde. »Ich versuche, was du sagst, mit Hilfe von Zweigen festzuhalten.«
»Gut. Also, links die vierte Fackel, rechts die dritte. Links dann die dritte - und rechts auch die dritte. Jetzt links die vierte und rechts die zweite.«
Theoderich wartete einen Moment und meinte dann
ungeduldig: »Und weiter?«
»Nichts mehr. Sie signalisieren jetzt dieselbe Reihenfolge nochmals. Vermutlich handelt es sich um ein einziges Wort mit fünf Buchstaben.«
»Dann müßte ich eigentlich meine Zweige hier enträtseln können. Hm... zweite Gruppe, erster Buchstabe... ist ein E.
Erste Gruppe, vierter Buchstabe... ein D.«
»Macte virtute«, murmelte ich bewundernd. »Es
funktioniert.«
»Ein P... ein L... ein O. Edplo. Edplo? Hm... scheint doch nicht zu funktionieren. Edplo gibt es nicht. Weder im
Lateinischen noch im Gotischen, noch im Griechischen.«
Ich beobachtete die Fackeln wieder und sagte. »Sie
signalisieren dieselbe Sequenz noch einmal. Nun zum
vierten oder fünften Mal.«
Theoderich knurrte ärgerlich. »Wir haben es also. Aber, zum Teufel, welche Sprache...?«
»Warte«, unterbrach ich ihn. »Ich hab's! Die Sprache ist Latein, das stimmt, aber es ist nicht das römische Alphabet.
Raffiniert. Sie benutzen das Futhark, das alte runische Alphabet. Also nicht A, B, C, D, sondern faihu, urus, thorn, ansus... Schau her: zweite Gruppe, erster Buchstabe... das ist raida. Erste Gruppe, vierter Buchstabe... ansus. Jetzt haben wir R und A... dann teiws... und eis... und sauil. Das Wort lautet rads. Siehst du? Latein!«
Theoderich freute sich wie ein kleiner Junge. »Ja! Rads!
Floß!«
»Sie hörten unsere Holzfäller! Sie signalisieren Odoaker oder Tufa, daß wir hier oben Floße bauen.«
»Gut so«, sagte Theoderich gutgelaunt, als wir zu unseren Pferden zurückkehrten. »Wenn Odoaker und Tufa dumm
genug sind zu glauben, daß wir dumm genug sind, für
zwanzigtausend Mann und halb so
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