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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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kreuzte, aber im Kampfgetümmel erkannte ich
    niemanden. Wie jeder andere auf dem Schlachtfeld, vom
    König bis hinunter zu den Lagerköchen und Waffenträgern, hatte ich nur ein einziges Ziel; ein Ziel, das jeder Krieger in ferner Zukunft wie auch in dunkler Vergangenheit kennt: den Feind zu töten, bevor man selbst getötet wird.
    Nun, wir gewannen schließlich die Oberhand. Als die
    römischen Trompeten zum letzten Mal ihre Legionen zu den Standarten riefen, bliesen sie eilig und traurig zum Rückzug.
    Alle versammelten Streitkräfte bewegten sich nun zurück, und diejenigen, die noch in den Kampf mit uns verwickelt waren, kämpften sich den Weg frei, und das gesamte Heer trat den Rückzug nach Westen an, indem es hie und da
    noch Teile seiner Ausrüstung und Vorräte aufgriff,
    liegengebliebene Waffen und reiterlose Pferde und
    Verwundete, die sich noch bewegen konnten. Während der vielen Jahrhunderte, in denen die römische Armee Krieg führte, hatte sie sich wahrlich nicht oft zurückziehen müssen, doch die Soldaten wußten rasch und geordnet dabei
    vorzugehen. Natürlich setzten unsere Männer dem Feind
    hinterher und bedrängten dessen Nachhut, die Seiten und dessen Versprengte, doch Theoderich erteilte Befehl, daß sich die Truppen wieder sammeln sollten, und schickte dem fliehenden römischen Heer nur einen Spähtrupp nach, um herauszufinden, wohin sie ritten.
    Die Römer ließen außer einigen Ärzten zur Versorgung
    ihrer Verwundeten keine gesunden Männer zurück. Es gab keine Abtrünnigen, keine Deserteure. Wie vielen der
    Verletzten unsere und die römischen Ärzte das Leben
    retteten und wie viele gepflegt wurden, weiß ich nicht, doch allein unser Heer verzeichnete einen Verlust von mindestens viertausend Soldaten und Odoaker hatte etwa die
    anderthalbfache Anzahl verloren.
    Auch unsere Schmiedsoldaten machten sich sogleich an
    die Arbeit, reparierten beschädigte Harnische, beulten Helme aus, bogen gekrümmte Klingen wieder gerade und
    schärften solche, die stumpf geworden waren. Anderen
    wurde aufgetragen, alles aufzusammeln, was die in die
    Flucht geschlagenen Römer an Ausrüstung und Vorräten
    hatten zurücklassen müssen. Von einigen dieser Dinge
    machten wir sofortigen Gebrauch - zum Beispiel aß jeder von uns eine gewaltige Portion frischen Schweine- und
    Hammelfleisches in guter römischer Fischsauce -, und die anderen verwertbaren Güter wurden auf die von den
    Römern zurückgelassenen Karren und Wagen verladen und
    mitgenommen. Unsere Holzfäller, die stromaufwärts am
    Ostufer Bäume gefällt hatten, bekamen jetzt die
    Gelegenheit, die Stämme zu Flössen zusammenzubinden.
    Da die Isonzobrücke für den Transport unserer
    Belagerungskatapulte zu schmal war, wurden diese über
    den Fluß geschifft.
    In der Zwischenzeit waren die Späher wieder
    zurückgekommen, die Theoderich Odoaker nachgeschickt
    hatte. Sie berichteten, daß sich nur einen Tagesmarsch entfernt im Westen eine große, schöne Stadt mit Namen
    Aquileia befinde. Da die Stadt an der flachen Küste
    Venetiens liege, auf das Meer hinausblicke und keine
    Stadtmauern besäße, hätte vermutlich ihre Verwundbarkeit Odoaker dazu veranlaßt weiterzumarschieren. Wie die
    Späher weiter berichteten, habe sich Odoakers Heer auf die gut ausgebaute römische Straße begeben, die in Aquileia beginnt, und sei im Eilmarsch gen Westen marschiert.
    »Die Straße ist die Via Postumia«, erklärte Theoderich uns Offizieren. »Sie führt nach Verona, einer Stadt, die von dicken Mauern und zu zwei Dritteln von einem Fluß
    umgeben und daher leicht zu verteidigen ist. Es wundert mich nicht, daß Odoaker sich dorthin zurückzieht. Doch ich freue mich, daß er uns Aquileia überläßt. Aquileia ist die Hauptstadt dieser Provinz Venetiens und war überaus
    wohlhabend, bevor die Hunnen vor fünfzig Jahren
    hindurchtrampelten. Die Stadt bildet jedoch immer noch einen der Hauptstützpunkte der römischen Kriegsflotte, und ein Teil der Adriatischen Flotte ist in ihrem am Meer
    gelegenen Vorort Grado stationiert. Ich könnte mir
    vorstellen, daß wir uns dort nach diesem anstrengenden Jahr herrlich erholen und unseren großen Sieg geziemend feiern können. Den Berichten von Reisenden nach zu
    urteilen, gibt es in Aquileia viele elegante Bäder,
    schmackhafte adriatische Meeresfrüchte und Meisterköche, die sie zubereiten können, auch schöne Römerinnen und
    Venetianerinnen. Wir werden also hier verweilen, aber nicht zu lange. Sobald wir uns erholt

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