Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
Vom Netzwerk:
hatte und welche Schlußfolgerungen ich daraus zog. Zwar wußte ich nicht, ob diese Informationen für Theoderich von großem Wert sein würden, doch die
    Nachricht gab mir das Gefühl, meine Zeit wenigstens nicht vollständig in ausschweifendem, schwelgerischem
    Müßiggang zu vergeuden.
    Erst Anfang April überbrachte mir Hruth eine weitere
    abgefangene polybische Botschaft, die etwas mehr
    aussagte, als daß TH immer noch in MEDLAN in Garnison
    stehe. Zumindest nahm ich an, daß diese Botschaft
    ungewöhnlich sei, weil sie als erste und einzige vor Beginn nicht den Buchstaben thorn dreimal wiederholte. Mehr konnte ich allerdings nicht sagen, denn die Nachricht war mir unverständlich. Im Ganzen lautete sie VISIGINTCOT. Diese Buchstabenreihe konnte auf vielerlei Weise aufgesplittet und gelesen werden, doch ich traute keiner meiner
    Interpretationen.
    Ich überlegte laut: »Die ersten Buchstaben könnten sich auf die Westgoten beziehen. Das ergibt aber keinen Sinn.
    Die nächsten Westgoten befinden sich weit weg in
    Aquitanien. Hm, laß mich nachdenken. Vis ignota? Visio ignea? Skeit! Hruth, Ihr müßt einfach nach weiteren Signalen Ausschau halten und mir die Botschaft schnellstens
    herbringen.«
    Doch die folgenden Meldungen waren genauso
    verwirrend: VISAUGPOS und VISNOVPOS. Könnte POS
    wieder »possidere« bedeuten? Und wenn ja, wer nahm was in Besitz? Dann brachte Hruth diese Nachricht:
    VISINTMEDLAN. Was immer auch vor sich ging, es betraf
    Mediolanum, wo Theoderich immer noch sein Lager
    aufgeschlagen hatte. Doch das war alles, was ich verstand.
    Die nächste Nacht war eine der drei, die ich jeden Monat dem Richter Diorio reserviert hatte. Nachdem ich ihm
    freizügig Lust geschenkt hatte, legte ich mich hin und sagte neckisch: »Ich hoffe, daß Ihr mich an Eure Freunde
    weiterempfehlt.«
    »Wie kann ich?« antwortete er träge und amüsiert
    zugleich. »Von meinen Freunden erfahre ich, daß du ihnen dasselbe nahelegst. Bist du unersättlich, Weib?«
    Ich kicherte mädchenhaft. »Einen Eurer Freunde kenne
    ich noch nicht. Den General Tufa.«
    »Dazu wirst du bald Gelegenheit haben. Wie ich höre,
    befindet sich der Dux auf dem Rückweg von seiner Reise in den Süden.«
    In der Art eines dummen und eitlen Weibsbilds rief ich:
    »Euax! Von so weit her kommt er, nur um die
    unwiderstehliche Veleda kennenzulernen!«
    »Bilde dir nichts ein. Der Dux hat in den vorstädtischen Provinzen ein neues Heer mobilisiert. Der Weg zu deinen Vettern, den Eindringlingen, und zu deren neuesten
    Verbündeten, führt ihn hier durch diese Stadt.«
    Ich zog eine niedliche Schnute. »Ihr Männer seid so
    langweilig, ihr nehmt alles so wörtlich. Lieber Diorio, daß ich von germanischer Abstammung bin, bedeutet noch lange
    nicht, daß ich mit den Eindringlingen verwandt oder an ihnen interessiert bin. Ich beschränke mein Interesse jeweils auf nur einen Mann.«
    »Eheu!« seufzte er und tat so, als ob er enttäuscht sei.
    »Jetzt, wo du mich erschöpft hast, interessierst du dich also.
    Treuloses Weib!«
    »Nur eine gewöhnliche Dirne würde annehmen, daß Ihr
    erschöpft seid«, neckte ich ihn. »Ich möchte wetten, daß dies ungewöhnliche Weib... gleich ungeahnte Reserven in Euch weckt...«
    Nachdem ich dies kunstgerecht getan, legte ich mich
    wieder zurück und wartete geduldig, bis Diorio aufhörte zu stöhnen und sich zum Schlafen ausstreckte. Dann murmelte ich, indem ich vorgab, selbst schläfrig zu sein und der Frage keine besondere Bedeutung beizumessen: »Was meintet Ihr mit ›ihre neuesten Verbündeten‹ ?«
    »Westgoten«, antwortete er.
    »Unsinn. Seit Alarich in Italien einfiel, war kein Westgote mehr in diesem Land.«
    »Ein anderer Alarich«, entgegnete er. Dann stützte er sich auf und sagte mit gespieltem Ernst: »Meine Liebe, zu einem Richter sagt man nicht, er rede Unsinn - selbst wenn er das tut. In diesem Falle jedoch bin ich gut informiert. Ich spreche von Alarich II., dem derzeitigen König der Westgoten, der weit weg im Westen, in Aquitanien, regiert.«
    »Er ist hier? In Italien?«
    »Nicht persönlich, glaube ich. Aber wie ich höre, hat er ein Heer entsandt. Alarich geht offensichtlich davon aus, daß deine Vettern, die Ostgoten, dieses Gebiet erobern werden.
    Und offensichtlich will er sich mit ihnen solidarisieren. Also schickte er eine beträchtliche Streitmacht aus seinen Landen östlich über die Alpen.«
    In Gedanken zerlegte ich jene letzte verwirrende Mitteilung VISIGINTCOT in ihre Bestandteile:

Weitere Kostenlose Bücher