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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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zog eine Augenbraue nach oben, lehnte sich ein wenig zurück und fragte kühl: »Wie kommt Ihr darauf?«
    »Nun, ich habe jede Eurer Fragen mit größtmöglicher
    Aufrichtigkeit beantwortet. Es kann euch nicht entgangen sein, daß ich weder ein Patrizier noch einer von Roms
    führenden Lüstlingen bin.«
    »Ihr glaubt also, des Besten in diesem Haus nicht würdig zu sein?«
    »Es ist Euer Haus. Ihr entscheidet.«
    »Dann schaut und seht!«
    Sie mußte ihr geheimes Zeichen gegeben haben, denn
    eine der Türen schwang lautlos auf und gab den Blick auf das chinesische Mädchen frei. Wie ich schon vor einigen Jahren entdeckt hatte, wächst den Frauen der Seres kein verhüllendes Schamhaar. Ihr Gewand aus dem
    durchscheinenden Sommergefieder von Gänsen verbarg
    nichts, jede kleine Einzelheit präsentierte sich meinen Blicken unverschämt deutlich, und sie hatte offensichtlich gelernt, ihr Pfirsichfleisch so einladend wie nur möglich darzubieten.
    »Das ist Eure Rarität?« sagte ich. »Das Juwel in Eurer Sammlung? Für mich? Ich hätte nie zu hoffen gewagt... ich bin überwältigt. « Und strafte meine Worte mit einem
    langgezogenen Gähnen Lügen.
    Das Mädchen sah verletzt aus. Melania sagte pikiert: »So überwältigt klingt Ihr aber nicht.«
    Ich neigte den Kopf und sagte abwägend: »Ich denke... als Ihr, Caia Melania, in Ihrem Alter wart, müßt Ihr sehr viel schöner gewesen sein.«
    »Ich bin nicht käuflich«, schnappte sie. »Das Mädchen
    schon. Wollt Ihr etwa andeuten, Ihr könntet diesen Reizen widerstehen?«
    »Ja. Ich versuche, nach einem Spruch des Dichters
    Martial zu leben.« Ich zitierte ihn pedantisch: »›So gelebt zu haben, daß man mit Freuden auf sein Leben zurückblickt, heißt zweimal gelebt zu haben.‹ Ich habe, müßt Ihr wissen, schon früh in meinem Leben ein Mädchen der Chinesen
    besessen. Nun besitze ich meine Erinnerungen, mein
    zweites Leben sozusagen. Ich empfehle euch, dieses
    Mädchen einem unerfahrenen und weniger
    abgestumpften...«
    »Sie ist einem Mann allein vorbehalten«, zischte Melania.
    »Und dieser Mann bin ich? Warum gerade ich?«
    »Ich meine...«. Offensichtlich war sie aus dem Konzept geraten. »... Jungfräulichkeit ist einmalig. Solltet Ihr dieses Angebot abweisen und ein anderer Mann würde sich ihrer würdig erweisen...«
    Ich nickte. »... dann würde er in den Genuß dieser
    einmaligen Erfahrung kommen. Ihr habt recht. Aber die Welt ist voller Wagnisse.«
    Melania warf einen Blick auf das Mädchen, das mit
    hängenden Schultern dastand, dann sah sie mich lange an.
    Schließlich gelangte sie wohl zu dem Schluß, meine
    Abgeklärtheit sei nichts weiter als der Versuch, kindische Nervosität zu überspielen. Mit sichtbarer Anstrengung
    unterdrückte sie ihre Ungeduld und sagte, bemüht, mich zu entspannen: »Vielleicht habe ich Euch etwas zu sehr
    gedrängt, Saio Thorn.« Sie machte eine Handbewegung,
    und die Tür schloß sich wieder. »Laßt uns einfach
    beieinander sitzen und ein wenig plaudern. Hier, teilt mit mir einen dieser saftigen Pfirsiche.« Melania nahm das
    Obstmesserchen zur Hand und wartete höflich, bis ich einen Pfirsich ausgewählt und ihr gereicht hatte. Mit größter Sorgfalt halbierte sie die Frucht, entfernte den Kern und schob eine Hälfte über den Tisch. Ich rührte meine Hälfte nicht an, bevor nicht sie mit Genuß in die ihre gebissen hatte. Lächelnd und mit vollem Mund sagte sie: »Delikat.
    Einer dieser Pfirsiche, die man eher trinkt als ißt.«
    Ich nahm meine Hälfte in die Hand. Aber ich biß nicht
    hinein, sondern preßte die Frucht über dem Fischglas aus.
    Kaum waren Saft und Fruchtfleisch in das Wasser getropft, da fingen die Fische an, wie betrunken im Kreis zu
    schwimmen, einer drehte sich auf den Rücken und trieb mit dem Bauch nach oben an der Wasseroberfläche. Ich blickte zu Melania hinüber, die sehr weiß im Gesicht geworden war.
    Sie machte einen schwachen Versuch, aufzustehen, aber
    ich schüttelte nur den Kopf und klopfte auf den Tisch. Auf dieses Zeichen hin öffneten sich alle fünf Türen. In jeder stand ein Soldat mit gezogenem Schwert, bereit, Melania auf mein Zeichen hin zu erschlagen. Ich blieb reglos sitzen und wartete, bis sie von selbst anfing zu sprechen.
    »Ich dachte, ich hätte den perfekten Plan«, sagte sie mit leisem Zittern in der Stimme. »Hatte ich nicht an alles gedacht? Unmöglich, daß du meine wahre Identität erkannt hast. Ich habe peinliehst genau darauf geachtet, mich hier in Rom niemals in

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