Der Greif
der Öffentlichkeit sehen zu lassen. Aber du hast es gewußt, noch bevor du mein Haus betreten hast.
Wie nur?«
»Ich wußte wohl, was, aber nicht wer mich erwarten
würde«, gestand ich ihr. »Ich selbst habe einem Mann
einstmals eine sehr ähnliche Falle gestellt. Ich hatte zwar keinen solch exotischen Köder wie du und, was das betrifft, auch weniger Geduld als du sie bewiesen hast, aber im
großen und ganzen war meine Idee dieselbe. Zudem
verfüge auch ich über einige Erfahrung mit der
Verabreichung von Giften. Das Mädchen ist eine Venefica, nicht wahr?«
Sie nickte ergeben.
»Und für den Fall, daß ich sie verschmähen würde« - ich hielt das Obstmesserchen in die Höhe - »war eine Seite der Klinge mit Gift präpariert, nur eine Seite. Oder?« Sie nickte erneut. »Wie wäre ich gestorben? Unter Zuckungen und
Krämpfen? Damit du hättest zusehen und lachen können?
Oder langsam, sprachlos und gelähmt, damit du mir hättest sagen können, warum ich sterben mußte? Oder...«
»Nein«, unterbrach sie mich. »Schnell und schmerzlos,
gnädig. Wie die hier.« Sie deutete auf die Kugel, in der inzwischen alle Fische leblos an der Wasseroberfläche
trieben.
»Und wenn ich mich zu der Venefica gelegt hätte?«
»Genauso. Das schnellste, sicherste und gnädigste aller bekannten Gifte. Es wird aus den Stacheln des Seeigels gewonnen. Ich wollte dich nicht leiden lassen. Ich wollte nur Rache, Rache für jene, die du erschlagen hast. Aber
sinnlose Qualen...? Nein.«
Ich seufzte. »Es ist so viele Jahre her, seit ich zuletzt jemanden tötete. Warum hast du so lange gewartet?«
»Ich habe nicht gewartet. Ich war sehr beschäftigt
während all dieser Jahre. Es fiel mir leicht, diejenigen zu finden, die die Drecksarbeit gemacht haben. Aber die bloßen Instrumente interessierten mich nicht. Ich wollte jene, die die Befehle gegeben hatten. Das herauszufinden dauerte
länger. Dann, als ich herausfand, daß du es warst, mußte ich einen Plan entwickeln. Und ich mußte an dich
herankommen.«
Ich lachte kurz. »Vor demselben Problem stand ich damals auch, als ich meine Falle aufgestellt hatte.«
»Viele Jahre lang bist du hierhin und dorthin gereist. Ich mußte darauf achten, dich nicht aus den Augen zu verlieren.
Als du dich endlich in Rom niederließest, beschloß ich, hier meine Falle aufzubauen. Mehr Zeit verging, denn ich wollte einen Köder, der dich unfehlbar anlocken würde, dem du nicht würdest widerstehen können.« Sie lächelte wehmütig.
»Ich vergaß, deine große Erfahrung in Betracht zu ziehen.
Übrigens: Womit hast du damals deine Männerfalle
bestückt?«
»Mit mir selbst. Es gab sonst niemanden.«
Sie sah mich etwas verwirrt an, fuhr aber fort: »So richtete ich vor vierzehn Jahren meine ganze Energie darauf, einen weiblichen Säugling der seltensten Rasse zu erstehen. Ich sandte Emissionäre in die entferntesten Länder - du kannst dir vorstellen, was für ein langes, aufreibendes und oft frustrierendes Unterfangen das gewesen sein muß. Dann, als ich endlich Erfolg hatte, mußte ich sie mit diesem Gift aufziehen, sie an es gewöhnen, sie damit durchtränken. Die Stacheln des Seeigels geben das Gift nur in winzigen
Mengen ab. Das zwang mich, außer allem anderen, auch
noch eigene Fischerboote auf See zu schicken.« Sie zuckte die Schultern. »Alles umsonst.«
»Du hast die Mörder, die Handlanger, mit deiner Rache
verschont«, sagte ich. »Du mußt gewußt haben, daß ich auf Theoderichs Weisung gehandelt habe. Warum hast du mich nicht verschont und dich an ihm schadlos gehalten?«
»Das hätte ich getan, hätte ich nur die geringste Chance gesehen, zu ihm vordringen zu können. Außerdem wäre das immer noch möglich gewesen, wenn ich mit dir fertig
gewesen wäre.« Vorsichtig fügte sie hinzu: »Es wäre immer noch möglich...«
»Hast du gehört?« wandte ich mich an den Optio der
Soldaten. »Eine Drohung gegen den König.«
»Ich habe es gehört, Saio Thorn.« Der Optio trat vor.
»Sollen wir sie töten?«
Ich bedeutete ihm, seinen Arm zurückzuhalten. In diesem Moment sagte sie: »Thorn, lieber den Tod als das
Tullianum.«
Ich ging nicht darauf ein, sondern fragte sie: »Und der Name? Melania?«
»Ein Vorwand. Ich nahm ihn von der Frau, die deine
Soldaten statt meiner erschlugen. Melania war die
Schwester meines Mannes.«
Ich erinnerte mich an die Umstände, wie sie mir damals berichtet worden waren und nickte. »Und der Name, unter dem ich dich kannte? Bist
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