Der Greif
oder Häretiker mehr einen offiziellen Posten, weder im Militär noch in der Zivilverwaltung, bekleiden dürfte, fügte Justinian hinzu: »Jedermann kann nun
erkennen, daß denen, die nicht den wahren Gott verehren, nicht nur die Freuden des Paradieses, sondern auch die weltlichen Güter vorenthalten werden.«
Diese Anweisung galt - noch - nicht westlich der Provinz Pannonien, aber Theoderich fühlte sich nicht ohne Grund bedroht. Gemäß dem vor langem mit Zenon getroffenen
Abkommen war er noch immer, zumindest dem Buchstaben
nach, »Abgesandter und Statthalter« des Kaisers in
Konstantinopel. Falls Justinus einen ähnlichen Erlaß für die Bewohner von Theoderichs Reich verfügen würde, dann
würde Theoderich sich entscheiden müssen: nachgeben
oder offen gegen den Lehnsherren in Konstantinopel
rebellieren. Theoderich und seine arianischen Untertanen waren jedoch nicht die einzigen, die Unheil heraufziehen sahen. Auch die Einsichtigeren unter den katholischen
Christen im gotischen Königreich und die Senatoren in Rom waren beunruhigt. Die Senatoren sahen sich immerhin als Hüter dessen, was vom weströmischen Reich
übriggeblieben war. Und sie hatten keineswegs vergessen, daß der Westen seit über zweihundert Jahren mit dem
Osten im Wettstreit um Macht und Einfluß lag.
Von einem gleichartigen Konflikt war das Verhältnis der Kirche Roms zu der Konstantinopels überschattet. Man
sollte annehmen, daß alle aufrechten katholischen Christen ein kaiserliches Dekret willkommen heißen würden, welches Juden, Heiden und Häretikern überall in der Welt zum
Schaden reichte. Aber die Erzbischöfe innerhalb der
christlichen Kirche strebten seit langem danach, als der Patriarch, der primus inter pares, der souveräne Pontifex, der Papst anerkannt zu werden. Fast gleichzeitig mit
Justinus' Veröffentlichung des Dekrets starb der Erzbischof von Rom, Hormisdas, und wurde durch einen gewissen
Johannes ersetzt. Der war, wie unschwer einleuchtet, wenig entzückt, ein Bischofsamt anzutreten, welches von
Konstantinopel gerade erst so deutlich auf die Ränge
verwiesen worden war. Während der willfährige Kaiser
Justinus dem oströmischen Erzbischof Ibas mit dem Dekret zu vermehrter Macht und höherem Ansehen verhelfen hatte, konnte Johannes von Theoderich keine gleichwertige Hilfe erhoffen. Und das brachte Johannes und seine Gefolgsleute nur noch mehr gegen Theoderich auf. Aber sie waren nur die unversöhnlichsten seiner Feinde. Wenn es eine Sache gab, die alle anastasischen Christen - Orthodoxe in Ostrom, Katholiken in Afrika, Gallien und im gotischen Königreich - in Brüderschaft vereinte, dann war es ihr fester Entschluß, der unerträglichen Toleranz ein Ende zu bereiten, die
Theoderich und seine arianischen Getreuen Heiden,
Häretikern, Juden und allen anderen Unchristen
entgegenbrachten.
Doch die dunklen Wolken, die sich in diesem Jahr des
taghellen Sterns, im Jahre des Herren 523, jenseits der Grenzen des gotischen Königreiches zusammenbrauten,
waren nicht so bedrohlich wie jene, die direkt über uns hingen. Wir, Theoderichs engste Freunde und Berater,
verzweifelten an der Frage, wer in der Lage sein könnte, unserem geliebten König auf den Thron nachzufolgen, das Land zu führen, für das er und wir gekämpft und das wir dann in harter Arbeit zu neuer Größe geführt hatten. Einen idealen Nachfolger, einen würdigen Ostgoten aus der
amalischen Linie, gab es nicht. Die Soldaten unter uns schlugen General Tulum vor. Er war ein guter Kandidat.
Zwar konnte er kein Geburtsrecht geltend machen, aber er war ein Ostgote und besaß alles, was einen König
ausmacht. Zu unserer Enttäuschung jedoch wies er das
Angebot glattweg zurück. Er und seine Vorfahren hätten, wandte Tulum ein, den amalischen Königen stets treu
gedient, und er würde sich hüten, mit dieser Tradition zu brechen.
Währenddessen verlieh Ostrom, das Dreigestirn Justinus, Justinian und Theodora, seinem Machtanspruch gegenüber dem gotisehen Königreich Nachdruck. Zwar wollten sie Theoderich nicht zu kriegerischen Handlungen verleiten, doch seinen Untertanen vor Augen führen, daß das gotische Königreich, wenn erst Theoderich tot wäre, Konstantinopel wie eine reife Frucht in die Hände fallen würde. Zweifellos hegten die Herrscher der anderen angrenzenden Nationen ähnliche Hoffnungen. Vermutlich fürchteten sie noch nicht einmal, um den gotischen Kadaver streiten zu müssen. Da die meisten unserer Nachbarn inzwischen durch
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