Der Greif
Becken mit unterschiedlich heißem Wasser. Wir badeten nicht besonders lange, aber irgendwie hatten die Bädersklaven es geschafft, in der kurzen Zeit alle unsere Kleider zu waschen und zu trocknen. Sogar mein Schaffell und Wyrds schwerer Umhang aus Bärenfell waren von
verklumptem Dreck, Blut und abgerissenen Zweigen und
Blättern gesäubert. Mein Schaffell war wieder weiß, Wyrds Bärenfell glänzte, und Wyrds zuvor verfilzte Haare und sein Bart waren so flaumig weich wie Löwenzahnsamen.
Paccius erwartete uns am Ausgang des
Auskleidezimmers. Bei ihm waren der Sklave und dessen
Schützling Becga. Der kleine Eunuche war immer noch
nackt, sah jedoch nicht mehr so verängstigt aus. Er hielt einen Spiegel in der Hand und betrachtete lächelnd sein Spiegelbild. Seine Haare, die einst braun gewesen waren, schimmerten nun wie blasses Gold, ähnlich wie meine
eigenen.
Der Legat rührte den Jungen nicht an, doch er befahl dem Sklaven, den Kopf des Jungen in diese und jene Richtung zu drehen. Dann sagte er: »Ja, die Farbe stimmt ungefähr. Gut gemacht, Sklave. Paccius, bring den Jungen in Fabius'
Gemächer. Er soll die Kleider des kleinen Calidius anlegen, sie müßten ihm eigentlich genau passen. Dann bring ihn wieder her.«
Paccius salutierte, doch bevor er gehen konnte, fragte Wyrd: »Paccius, hat der Garnisonskoch etwas zu essen da?
Ich könnte einen Auerochsen mit Haut und Haar
verschlingen.«
»Komm mit, Uiridus«, sagte daraufhin der Legat. »Du
darfst nicht mit den gemeinen Soldaten essen. Da Ihr nun etwas menschlicher ausseht und riecht, werdet Ihr beide mit mir speisen.«
Und so kam es, daß ich im prächtigen Speisesaal der Villa des Calidius zum erstenmal auf römische Art speiste. Es war das erste Mal, daß ich in liegender Position, nur auf einen Ellbogen gestützt, meine Mahlzeit einnahm.
Als wir beim Nachtisch angelangt waren, meldete ein
Diener, Paccius warte draußen. Der Legat ließ ihn eintreten.
Paccius brachte den kleinen Charismaten mit, der nun
vollständig angezogen war und die schönsten Kleider trug, die ich je an einem Kind gesehen hatte: eine hellblaue, am Saum mit Blumen bestickte Leinentunika, weiche gelbe
Lederstiefeletten und über der Tunika einen tiefroten
wollenen Mantel, der an einer Schulter mit einer silbernen Fibel festgesteckt war.
Der Legat blieb liegen und kaute weiter, während er das Kind in aller Ruhe musterte. Dann gab er mit einem kurzen Nicken zu verstehen, daß er einverstanden war, und er
bedeutete Paccius mit einer Geste, den Jungen wieder
hinauszuführen. Erst als die beiden den Raum wieder
verlassen hatten, schluckte er laut. Ein Seufzer entrang sich seiner Brust, und er sagte fast wehmütig: »Das hätte
beinahe mein verlorener Enkel sein können.«
»Warum behältst du ihn dann nicht hier?« fragte Wyrd.
»Statt mich und den echten Calidius einer tödlichen Gefahr auszusetzen?«
»Was?« rief der Legat entsetzt, »einen Eunuchen?« Dann begriff er, daß Wyrd nur scherzte. »Ich finde deinen Humor nicht besonders spaßig, Uiridus. Doch da wir schon davon sprechen: Sag mir, wie du es anstellen willst, die Kinder auszutauschen.«
»Ich habe dir schon gesagt, daß ich es noch nicht weiß und daß ich darüber erst nachdenken muß. Beim Essen
kann ich nicht nachdenken. Das beeinträchtigt den Appetit und die Verdauung.«
»Aber wir müssen uns vorbereiten und einen Plan
entwerfen. Der Hunne ist in wenigen Stunden hier. Weißt du wenigstens, wieviele Männer du brauchst?«
»Ich brauche einen Helfer. Aber ich werde niemanden
bitten, Selbstmord zu begehen.«
Wieder meldete ich mich zu Wort. »Ihr braucht mich nicht zu bitten, Fräuja. Ich gehe mit Euch.«
Wyrd nickte mir bestätigend zu und wandte sich wieder an den Legaten. »Sonst brauche ich niemanden.«
»Vielleicht nicht. Aber ich würde dir gern noch jemanden mitgeben. Meinen Sohn Fabius.«
»Jetzt hör mir mal zu«, sagte Wyrd grob. »Ich versuche zu verhindern, daß deine Familie ausstirbt, und ich habe keine große Hoffnung, daß mir das gelingt. Sollte ich scheitern, stirbt mit mir jeder, der dabei ist. Auch Fabius. Und damit würde deine Familie endgültig aussterben. Diese Aufgabe verlangt Intelligenz, Geduld und List. Ein Mann, der vor Verzweiflung außer sich ist...«
»Fabius war römischer Soldat, ehe er heiratete, und er ist es noch heute. Wenn ich ihn unter deinen Befehl stelle, gehorcht er dir. Stell dir doch vor, Uiridus, was du an seiner oder meiner Stelle tun
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