Der Greif
nahm an, als eine Art Tribut an ihr Schamgefühl.
Andere jedoch verhüllten unschuldige Körperteile - einen Fuß, eine Schulter oder einen Schenkel. Ich konnte nur vermuten, daß sie eine kleinere Mißbildung oder ein
Geburtsmal, vielleicht auch die Spuren der Zähne ihrer Liebhaber, zu verstecken suchten. Einige der aufwartenden Sklaven waren Frauen, andere Eunuchen, aber alle
schienen sie in Diskretion wohlgeübt zu sein. Als ich im Salbraum mit Öl eingerieben wurde und später im
Schwitzbad davon gereinigt wurde, verlor keiner der
Bediensteten auch nur ein Wort darüber, daß ich von mehr Schmutz befreit werden mußte, als sich normalerweise im Laufe eines Tages auf einem menschlichen Körper ansetzt.
In der letzten Kammer der Therme, dem Balineum, aalte
ich mich genießerisch in dem warmen Wasser. Unter den
Frauen, die es mir gleichtaten, gab es alte und junge, von verschiedensten Graden der Wohlgestaltetheit, von Kindern und aufblühenden Mädchen bis hin zu fettleibigen oder
dürren alten Frauen. Ich fragte mich, wie viele von ihnen in das Bad gekommen waren, um sich wie ich von einem
amourösen Abenteuer zu erholen.
Mindestens eine Frau im Becken war schön genug, um
diesen Verdacht in mir zu erwecken. Schon die Art, wie sie sich genüßlich und träge im Wasser treiben ließ, deutete darauf hin. Sie war eine Matrone, alt genug, die meine - oder sogar Gudinands - Mutter sein zu können. Ihre Augen waren dunkel, ebenso ihr Haar, ihr Körper schön und wohlgeformt, unberührt von der Zeit. Sie machte aus ihrem Stolz darüber kein Hehl und stellte selbst hier, wo einzig Frauen ihr Publikum stellten, ihre Reize zur Schau, als gelte es, eine ganze Legion zu verführen. Sie war eine der wenigen, die ganz nackt schwammen.
Zweifellos ließ ich meinen neugierigen Blick zu lange auf ihr ruhen. Denn sie erwiderte meinen Blick und schwamm dann geschmeidig zu mir herüber. Ich erwartete, von ihr für meine rüden Blicke getadelt zu werden. Stattdessen gab sie ein paar belanglose Freundlichkeiten von sich: wie
erfrischend es sei, hier ein neues Gesicht zu sehen... Ob das Wasser nicht wunderbar anregend auf alle Sinne
wirke?... Sie heiße Robeya und wie mein Name sei. Noch während sie sprach, nahm sie meine Hand in die ihre und legte sie auf eine ihrer bloßen Brüste, mit der anderen streichelte sie meinen (sehr viel weniger ausladenden) Busen. Ihre unerwartete Kühnheit verschlug mir den Atem, und das eindeutige Angebot, daß sie mir ins Ohr hauchte, machte mich vollends sprachlos.
»Wir brauchen noch nicht einmal das Wasser zu
verlassen«, fügte sie hinzu. »Wir können uns in diese dunkle Ecke dort drüben zurückziehen und es dort tun.«
Wäre ich Thorn gewesen, ich hätte ohne weiteres
akzeptiert. Aber Juhiza schenkte ihr nur ein süßlich
zufriedenes Lächeln und sagte: »Danke, liebste Robeya, aber ich habe diesen Abend damit verbracht,
außerordentliche Genüße von einem außerordentlich
männlichen Liebhaber zu empfangen.«
Sie ließ mich fahren, als hätte sie sich verbrüht, zischte etwas zweifellos einen helvetischen Fluch, den ich noch nicht kannte - und verzog sich auf die andere Seite des Beckens. Ich lächelte einfach weiter. Ich lächelte immer noch, als ich mich anzog und die Therme verließ. Selbst auf dem Weg in mein Zimmer in der Herberge lächelte ich noch und wahrscheinlich die ganze Nacht hindurch, in der ich den Schlaf einer körperlich zutiefst befriedigten Frau schlief.
Am nächsten Tag war ich wie neugeboren und das
Schwächegefühl war vergangen. Zumindest im Moment
wurde ich nicht mehr von den Erinnerungen an die Stunden mit Gudinand überschwemmt. Ich glaube, nachdem ich eine solch übermenschliche Erlösung und Befriedigung meiner weiblichen Triebe erfahren hatte, hatte sich meine weibliche Hälfte - zumindest vorübergehend - in eine Art schläfrige Wartestellung zurückgezogen und meiner männlichen Hälfte die Herrschaft überlassen. Ich konnte mich als Thorn kleiden und verhalten, denken wie Thorn und sogar Thorn sein, als ich in das Wäldchen am See lief, wo ich mich mit Gudinand nach seinem Tag in der Fellgrube traf. Es gelang mir, ihn, ohne irgendwelche weiblichen Sehnsüchte oder
Empfindungen zu begrüßen und anzuschauen,
ausschließlich mit der alten Kameradschaft zwischen zwei jungen Burschen, die ich früher schon gefühlt hatte, als wir lediglich Freunde und Spielgefährten gewesen waren.
Ehrlich gesagt, ich war wieder so sehr Thorn, so sehr
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