Der Greif
liefen Wyrd und ich schon neben unseren Pferden her, deren Sattel mit Pelzen überladen waren. Also bauten wir Schlitten aus
festen und doch biegsamen, mit Fellstreifen
zusammengebundenen Ästen. Vorne bogen wir sie hoch, so daß wir sie relativ problemlos über Hindernisse
hinwegziehen konnten.
Nachdem wir Constantia verlassen hatten, umrundeten wir das Südende des Bodensees, stießen ostwärts vor, bis wir die römische Provinz Rhaetia Secunda erreichten, in der alten Sprache Bajo-Varia genannt. Wie im vergangenen
Winter zogen wir überwiegend durch die Vorberge der
Alpen. Aber da dieser Winter um einiges milder als der letztjährige ausfiel, stiegen wir auf der Suche nach
Steinböcken und Bärenhöhlen, von denen Wyrd wußte, oft weit hinauf.
Bajo-Varia ist die am wenigsten dicht besiedelte Provinz des westlichen Imperiums. Auf unserer Reise durch Bajo-Varia stießen Wyrd und ich auf keine einzige römische
Straße, keine Siedlung, keine Stadt, kein befestigtes Lager, nicht einmal einen Vorposten der Legion. Die einzigen
Bewohner des Landes waren nomadisch lebende
Alemannen, und die wenigen Male, da wir einer dieser
»Nationen« begegneten - eigentlich nicht mehr als sehr große Stämme - zogen sie durch die Gegend oder waren im Winterlager. Einen der umherziehenden Stämme begleiteten wir, bis sich unsere Wege trennten; in ihrem Winterlager genossen wir für einige Tage die Gastfreundschaft eines anderen Stammes.
Der kriegerische Ruf der Alemannen legt eigentlich die Vermutung nahe, daß ihnen die Gegenwart von Fremden
auf ihrem Land mißfiel- Und wären Wyrd und ich mit einem Handelszug oder einer fremden Armee unterwegs gewesen, hätten die Alemanni uns auch zweifellos als Eindringlinge betrachtet, uns angegriffen und entweder getötet oder
versklavt. Aber wir waren Nomaden wie sie und so
empfingen sie uns sehr gastfreundlich.
Als wir weiterzogen, überschritten wir irgendwo in den Wäldern die unsichtbare Grenzlinie, die die ostwärts
gelegene Provinz Noricum von Bajo-Varia trennt. Die
alemannischen Stämme wandern zwar auch durch Noricum,
aber dort gibt es Siedlungen von Römern, deren Vorfahren nordwärts über die Alpen gezogen waren, hauptsächlich
wegen des eisenhaltigen Bodens. Die Noricer verdankten ihren Wohlstand dem feinen Stahl, den die Römer für ihre Waffen verwenden. Im Herz jeder Siedlung, durch die Wyrd und ich kamen, fand sich denn auch eine Mine, eine
Schmiede oder eine Gießerei.
Zu Anfang des Frühlings folgten wir dem Inn und fingen einige Biber. Endlich stießen wir auf eine richtige Straße, nicht nur einen Fußpfad. Es war die römische Straße, die von den Alpen über Alpis Ambusta herabführt, dem wohl am häufigsten benutzten Paß über dieses Gebirge. Auf dieser Straße waren viele Menschen, Tiere, Zugwagen und Karren unterwegs; sie reisten zwischen Tridentum in Italien im Süden und Castra Regina an der mächtigen Donau im
Norden hin und her. Die Straße führt auf einer
beeindruckenden Brücke über den Inn. Ihr östliches Ende wird von einem römischen Posten bewacht, Veldidena,
besetzt mit den Truppen der 2. Legion Italica Pia. Wie überall sonst auch wurden die das Lager umgebenden
Läden, Tavernen, Schmieden und Gerbereien von
Veteranen bewirtschaftet. Wie überall sonst auch besaß Wyrd hier einige alte Bekannte. Und, wie überall sonst auch, betrank er sich mit ihnen - aber erst nachdem wir einen Teil der Pelze und Gehörne und sogar etwas von unserem
Kastoröl (an den Medicus der Legion) verkauft hatten.
Während er die nächsten Tage kräftig becherte und sie in glückseliger Trunkenheit verbrachte, erstand ich die Vorräte, die wir für den nächsten Abschnitt unserer Reise nötig haben würden.
Als Wyrd sich wieder erholt hatte, reisten wir weiter
flußabwärts, den immer breiter werdenden Inn entlang. Als der Fluß nach Norden abbog, verließen wir ihn und kamen durch nur von schmalen Flüssen durchzogenes Land. Wir
bewegten uns jetzt schneller vorwärts, denn die Qualität der Felle ließ im Frühjahr deutlich nach, und wir jagten
hauptsächlich für unsere Mahlzeiten. So gelang es uns, im späten Frühling die Handelsstadt und Provinzkapitale
Juvavum zu erreichen. Sobald wir sämtliche Waren verkauft hatten - der Erlös überstieg das, was wir im Vorjahr in Constantia erzielt hatten, ganz beträchtlich - wandte sich Wyrd an mich.
»Ich kenne hier in dieser Stadt niemanden, mit dem ich trinken und von alten Zeiten schwärmen
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