Der Greifenmagier 2 - Land des Feuers
Er war von jeher sehr klein, aber jetzt schien das Fleisch von seinem Körper heruntergeschmolzen. Die dünnen Knochen seines Gesichts zeichneten sich deutlich ab; die Augen waren in schattige Höhlen zurückgesunken; und er war totenbleich. Gerent fand, dass er dem Tode näher schien als dem Erwachen.
Die Dame Emre saß auf einem hochlehnigen Stuhl direkt neben dem Bett und hatte eine Hand dicht neben Beguchrens Gesicht auf der Bettdecke liegen. Sie wirkte ausgelaugt und müde, und sie hatte viel von ihrer behaglichen Molligkeit eingebüßt, an die sich Gerent erinnerte.
Als sie dann jedoch aufsprang und ihn begrüßte, zeigte ihr Lächeln all seine gewohnte lebhafte Wärme. »Gerent!«, rief sie. »Wieder unter uns! Siehst du, ich hatte Aben gesagt, er solle dich schlafen lassen, und da bist du wieder! Du siehst richtig gut aus! Obwohl du kräftig wieder etwas auf die Knochen gebrauchen kannst, wie ich sehe. Du bist immer noch viel zu dünn. Aben, vergiss nicht, dem Koch Bescheid zu sagen ... Oh, er ist ja noch gar nicht zurückgekehrt, das stimmt. Na ja, dann vergessen wir nicht, jemandem in der Küche Bescheid zu sagen, er solle zu Mittag etwas Kräftiges zubereiten.«
Gerent erwiderte ihr Lächeln und unterließ es zu erwähnen, wie abgespannt sie selbst wirkte. Sie hatte keine Fragen nach der Schlacht oder den Greifen oder dem Wall gestellt, wofür er dankbar war. Er warf einen fragenden Blick auf die reglose Gestalt im Bett.
»Ja, der arme Mann«, bestätigte die Dame Emre. Sie kehrte ans Bett zurück und betrachtete stirnrunzelnd die kleine Gestalt des Magiers. »Ich weiß nicht. Ich dachte, er würde nach einer Weile wieder zu sich kommen, aber wie du siehst, ist das nicht geschehen.«
»Was uns auch mit Blick auf deine Verfassung nicht gerade beruhigt hat«, warf Annachudran ein.
Tehre kam eilig herein und hielt sich am Türrahmen fest, als sie in ihrer Eile stolperte. »Gerent! Ich dachte doch gleich, dass ich deine Stimme gehört hatte.« Sie kam ganz unbefangen herein, fasste ihn an den Händen und legte den Kopf in den Nacken, um sein Gesicht ins Auge zu fassen. »Du siehst gut aus. Besser in den eigenen Gedanken und dem eigenen Herzen verankert, als ich erwartet hätte. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Du hast dich jedoch an die Zauberkraft angepasst, die du in dich aufgenommen hast, nicht wahr? Das ist wunderbar! Bist du es gewesen, der dieses Eis und den Nebel bis zu den Bergen im Westen gezogen hat? Ich sagte schon meinem Vater, dass es keinen Sinn hätte, diesen Wall nur auf halber Länge zu versiegeln.«
Das war so typisch für sie, fand Gerent: eine spontane und richtige Einschätzung über ihn abzugeben, sie im selben Atemzug wieder zu vergessen und sich sogleich einer technischen Frage zuzuwenden. Er lächelte auf sie hinab. »Ich kann gar nicht glauben, dass du eine halbe Bergkette zertrümmert und einen zweihundert Meilen langen Wall errichtet hast. Weißt du, dass die Blöcke in den westlichen Bergen ebenso groß und gut geformt und ebenso ordentlich eingefügt sind wie die hier am Fluss? Ich vermag nicht zu erkennen, wie man das mit Zauberkraft hätte bewirken können, weshalb ich vermute, dass du wirklich eine Schaffende und keine Magierin bist. Ich habe jedoch noch nie von einer baulichen Großtat gehört, die auch nur in Ansätzen diesen Wall erreicht hätte.«
Tehre errötete und senkte den Blick; sie war auf einmal ganz schüchtern. »Oh, na ja ... Ich hätte nie genug Kraft gehabt, um die Blöcke so weit zu bewegen, wenn da nicht das Kraftreservoir gewesen wäre, das du für mich erschlossen hast. Und im Grunde denke ich, dass es vielleicht Kairaithin war, der dieses letzte Stück hinzugefügt hat, dort oben in den westlichen Bergen. Ich denke nicht, dass ich es war. Und vielleicht Beguchren ...« Sie blickte unbehaglich auf die kleine, reglose blasse Gestalt dort mitten im Bett. »Ich denke, er hat vielleicht geholfen. Magier mögen keine Schaffenden sein, aber ich glaube, er hat mit seiner Kraft dabei geholfen, die Blöcke an die richtigen Stellen zu bekommen. Und ich glaube, er hat mir die Kraft der Erde zur Verfügung gestellt. Ich denke ...« Sie zögerte und schloss dann eilig: »Ich denke, das ist es, was ihm widerfahren ist: Er hat sich verausgabt, indem er aus sich selbst einen Kanal zwischen der tiefen Magie der Erde und mir machte.«
Gerent folgte ihrem Blick. »Ja. Ich glaube, du hast recht. Jemand hat die Macht der Erde durch die Menschen emporgelenkt, und
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