Der Greifenmagier 2 - Land des Feuers
Tehre tat es nicht. Sie zog sich leise zurück und lief auf den Flur hinaus. Gerent wusste, dass sie ihre Mutter rufen und Tee holen würde, und da Beguchren beides brauchte, war das in hohem Maße praktisch.
Der Magier zog die weißen Augenbrauen zusammen. Seine Augen waren nicht mehr eisblass. Sie zeigten das kräftige Dunkelgrau von Zinn, von Sturmwolken, vom letzten Hauch der Abenddämmerung, ehe es ganz dunkel wurde ... Gerent blinzelte und erkannte im exakt gleichen Augenblick wie Beguchren selbst, dass dieser kein Magier mehr war. Er spürte Beguchrens Schock im eigenen Denken nachhallen. Dieses tiefe Gewahrsein der Erde – das Gewahrsein, das Gerent in der Wüste erworben hatte, während Feuer aus dem dunklen Wind regnete und die wilden Schreie der Greifen am Himmel erklangen ... Er, Gerent, verfügte nach wie vor über dieses Gewahrsein, so etwas wie ein zusätzlicher Sinn, wie eine Erweiterung des ureigensten Selbstes. Für Beguchren hingegen galt das nicht. Für ihn war dieses Gewahrsein nicht nur geschwächt. Es war ganz verschwunden. Vom Feuer verbrannt, von gnadenloser Notwendigkeit verbraucht ...
Beguchren sagte nichts. Worte schienen nicht nötig zu sein. Gerent ließ lediglich nicht zu, dass Beguchren einfach in die wartende Leere zurückfiel, denn einen Moment lang fürchtete er, der ehemalige Magier könnte das versuchen. Er half ihm vielmehr in eine aufrechte Sitzhaltung, arrangierte die Kissen hinter ihm, nahm den Tee zur Hand, den Tehre inzwischen gebracht hatte, und hielt selbst die Tasse an Beguchrens Lippen.
»Geht es ihm wieder gut?«, erkundigte sich Annachudran nervös. Er hatte die Frage – obwohl Beguchren nun wach war – nicht an ihn gerichtet, sondern an Gerent. Dann beugte er sich an Gerent vorbei vor, ergriff Beguchrens dünnes Handgelenk, tastete mit dem Daumen nach dem Puls und wartete. Er war, vermutete Gerent, selbst genug Magier, um – wenn auch verzögert – zu verstehen, was passiert war.
»Er ist völlig in Ordnung«, erklärte Gerent kategorisch. Mit seinem Ton setzte er Beguchren zu, ihm nicht zu widersprechen, nicht mal in der Privatsphäre der eigenen Gedanken.
Beguchren schloss die sturmgrauen Augen. Doch er verzog die Lippen. Er sagte nichts, sondern hob eine Hand, um wortlos, aber bestimmt zu fordern, dass Gerent ihm die Tasse reichte.
Ebenso wortlos kam Gerent dieser Aufforderung nach.
Beguchren setzte die Tasse an, trank einen Schluck und senkte sie wieder, entschlossen um eine ruhige Hand bemüht.
Gerent nahm ihm die Tasse ab, gerade als Beguchrens Hand zu zittern begann. Leise erzählte er: »Ein Wall erstreckt sich nun vom kalten See oberhalb des Teschanken den Fluss entlang ins Tiefland und dann nach Westen, den ganzen Weg bis zu den fernen Bergen. Er ist auf unserer Seite mit Eis und Erde versiegelt und auf der anderen mit Feuer. In den Flussbetten strömt wieder klares Wasser, und das Land des Feuers wird sich nicht noch einmal übernehmen.«
Beguchren nickte kaum merklich. »Ich werde jetzt schlafen«, flüsterte er.
»Erst noch etwas Tee«, sagte Gerent sanft, legte Beguchrens kleine Hand um die Tasse und half ihm, sie ohne Zittern ein weiteres Mal zu heben und zu senken.
Die Dame Emre eilte mit einem Teller Kuchen ins Zimmer, und Tehres Fürst Bertaud folgte ihr unsicher auf den Fersen. Gerent freute sich nicht über das Gedränge, aber er nahm die Teetasse erneut zur Hand, brach ein klebriges Stück vom Kuchen ab und drückte es Beguchren in die Hand.
»Iss das«, sagte er. »Iss das, und dann kannst du schlafen. Versprich mir aber, dass du wieder aufwachst.« Er hielt inne und fügte mit einem gewissen Maß an Rücksichtslosigkeit hinzu, das sogar ihn selbst überraschte: »Das schuldest du mir.«
Beguchren zog die Brauen zusammen, bestritt es aber nicht. Er nickte erneut ganz leicht und schlief im Sitzen ein, während sich noch das Stück Kuchen auf seiner Zunge auflöste.
Ganz ähnlich, wie es Gerent gemacht hatte, schlief Beguchren den Tag hindurch und dann die gesamte folgende Nacht. Und ganz ähnlich wie Gerent erwachte er in viel besserer Verfassung. Niemand musste ihm zusetzen oder ihn dazu überreden, Honigkuchen und anschließend Haferbrei, Eier und kaltes Rindfleisch zu essen. Er redete lange mit Gerent – oder Gerent sprach zu ihm: Beguchren wollte alles erfahren, was seit seinem Zusammenbruch geschehen war. Gerent konnte ihm natürlich das meiste davon nicht berichten. Tehre füllte die freien Stellen aus, über die sie
Weitere Kostenlose Bücher