Der Greifenmagier 2 - Land des Feuers
Gerent nicht. Er klappte den Mund zu.
»Ich weiß nicht, was ihn hindern könnte, mich zu zwingen, dass ich dich wieder freigebe«, sagte Tehre, während ihre kleinen Finger an den dunklen Haarsträngen entlanghuschten. Rasch zog sie sich Haare aus und flocht sie zusammen. Immer schneller bewegten sich ihre Finger, und sie zupfte sich noch mehr Haare aus, um die Schnur zu verlängern. Ihre Augen konzentrierten sich auf ihre Arbeit, und zumindest ein Teil der Gedanken musste dies auch tun, obwohl sie gleichzeitig ausrief: »Was wird ihn aufhalten?« Ihr Tonfall war so, als betrachtete sie dies als echte Frage und erwartete wirklich eine Antwort von Gerent.
Gerent öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Er hatte keine Ahnung. Dann antwortete er, wohl wissend, dass der Vorschlag unmöglich umzusetzen war: »Was er auch unternimmt, du musst ihn davon überzeugen, dass du ihn nicht hindern wirst.«
Tehre stieß einen leisen verächtlichen Laut aus und blickte nur für eine Sekunde auf, während ihre rasend arbeitenden Finger zu keinem Zeitpunkt langsamer wurden. Sie wurde mit der ersten Schnur fertig und begann mit einer zweiten.
Gerent ging zur Tür und lauschte aufmerksam. Es fiel ihm leicht, sich vorzustellen, dass er schnelle, siegesgewisse Schritte hörte, die durch den Flur erschallten und sich der Bibliothek näherten. Er wusste aber nicht wirklich, ob er diese Geräusche tatsächlich hörte oder sich nur einbildete. »Schnell!«, drängte er Tehre.
Sie würdigte das nicht mal mit einem Blick, geschweige denn mit einer Äußerung. In fliegender Eile beendete sie jedoch die Arbeit an der zweiten Schnur und winkte Gerent eilig herbei. Er durchquerte das Zimmer mit vier langen Schritten, drehte neben Tehre einen Stuhl um und stellte den rechten Fuß darauf, damit sie problemlos den Fluchgelübde-Ring erreichen konnte.
Tehre fädelte die erste der eben fertiggestellten Schnüre durch den Ring und befestigte sie mit einem ordentlichen kleinen Knoten. Als Fellesteden sie bedrohte, hatte sie eher entrüstet als eingeschüchtert gewirkt, aber sie fürchtete sich mehr, als ihre Miene verriet: Ihre Finger zitterten so stark, dass sie immer wieder seinen Knöchel berührten.
Schritte ertönten vor dem Zimmer; sie waren laut und nachdrücklich und nicht im Mindesten ein Resultat der Vorstellungskraft. Gerent knirschte mit den Zähnen, um Tehre nicht zu panischer Eile zu drängen, und zwang sich, völlig still zu stehen, während sie den ersten Knoten vollendete. Stimmen wurden von draußen vernehmbar – laut, aber unverständlich –, während er den rechten Fuß auf den Boden und den linken auf den Stuhl stellte.
In Windeseile band Tehre den zweiten Knoten: Das Fluchgelübde erwachte, schloss sich kraftvoll um Gerents Selbstbestimmung und Willen und drang tief in ihn ein. Er schnappte nach Luft bei diesem Etwas, das nicht wirklich Schmerz war. Dann packte er die Rückenlehne des Stuhls, um sein Gleichgewicht zu bewahren, da er einen Schwindelanfall verspürte, der jedoch im Grunde auch nicht körperlicher Natur war.
In genau diesem Augenblick öffnete Derich die Tür zur Bibliothek und machte Platz, damit Perech Fellesteden eintreten konnte. Derich kam hinter ihm herein; ein weiterer Gefolgsmann Fellestedens hielt Fareine am Arm. Diese wirkte älter und viel hilfloser als je zuvor.
Tehre richtete sich auf, verschränkte die Arme vor den kleinen Brüsten und funkelte zu Fellesteden hinauf.
Gerent trat einen Schritt zur Seite. Er wusste ganz und gar nicht, was Fellesteden daran hindern sollte, Tehre zu zwingen, dass sie die gerade befestigten Schnüre wieder durchtrennte. Gerent hatte gewünscht, dass sie ihn band, weil er sich vor Fellesteden schützen wollte – indem Tehre diesem zuvorkam –, aber jetzt konnte Fellesteden einfach Fareine bedrohen. Er konnte eine Frau des Hauspersonals nach der anderen bedrohen, und er würde es nicht mit Drohungen bewenden lassen. Tehre hat keine Chance, sich ihm zu widersetzen ...
»Gerent!«, befahl Tehre, während ihr Blick fest auf Fellesteden ruhte. »Töte ihn.«
Gerent konnte nicht glauben, dass sie das gesagt hatte. Perech Fellesteden konnte es nicht glauben. Tatsächlich konnte niemand es glauben. Einen Augenblick lang waren alle im Zimmer starr vor Verblüffung. Außer Gerent. Er brauchte es gar nicht zu glauben. Es kam gar nicht darauf an, dass er erschrocken war oder dass er niemals in seinem Leben jemanden absichtlich umgebracht hatte und wahrscheinlich gar
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