Der Greifenmagier 2 - Land des Feuers
Stellung des kleinen Mannes war leichter zu deuten als sein Alter, denn er trug gute und teure Kleidung, und die Ausführung seiner saphirbesetzten Ringe war sehr gut. Gerent dachte, dass er es hier nicht einfach mit einem edlen Herrn oder kleinen Fürsten zu tun hatte. Wahrscheinlich gehörte er zum Hofstaat. Gerent fragte sich, ob er ihn von früher kannte ... Doch gewiss handelte es sich um eine denkwürdige Person, und Gerent konnte sich nicht erinnern, dass er je einem Mann wie diesem begegnet war.
Er blickte Gerent mit der Miene eines Mannes an, der ein gerade erstandenes Pferd musterte – oder wie ein Hauptmann einen Soldaten, der in seine Kompanie versetzt worden war, oder wie ein Richter einen Gefangenen. Mit genau dieser Art bedachter Distanz. Gerent erwiderte diesen Blick nur einen Augenblick lang, gestattete dann dem gesunden Menschenverstand den Vorrang vor dem Stolz und senkte den Kopf. Er betrachtete den hohen Herrn verstohlen durch gesenkte Wimpern. Dieser Mann also hatte sein Band gekauft! Und wo blieb dann Tehre? Die Tiefe des eigenen Zorns über ihre Abwesenheit und des Empfindens, verraten worden zu sein, erschütterte ihn selbst. Erst in diesem Augenblick entdeckte er, wie sehr er sich auf Tehre Annachudran verlassen hatte – darauf, dass sie ihr Versprechen hielt und sein Band erwarb. Er zwang sich, still zu stehen, die geübte Passivität eines Sklaven an den Tag zu legen und nichts von der Wut zu zeigen, die ihn innerlich schüttelte.
»Nun, mein Herr?«, fragte der Richter. Er sprach in einem gespannten Ton, als wäre dies der Abschluss eines Gesprächs und nicht sein Beginn.
»Ich denke, er wird reichen«, erwiderte der Herr kühl und besonnen. »Ich nehme ihn jedenfalls, und dann werden wir sehen.« Er wandte sich dem Schriftführer zu, der ihm einen kleinen Holzkasten reichte.
»Ich denke, der Herr benötigt keine Einführung in den Gebrauch der Fluchgelübde-Ketten«, sagte der Richter im Tonfall eines Mannes, der einen kleinen Scherz machte.
»Ich denke nicht«, pflichtete ihm der kleine Herr bei. Sein Tonfall war glatt und lässig. Es war unmöglich, diesem Ton irgendeine Stimmung zu entnehmen. Der Mann nahm den Kasten vom Schriftführer entgegen, öffnete ihn und schüttete zwei feine Silberketten in seine andere Hand. Dann blickte er Gerent an und gab ihm einen Wink. Ein gekrümmter Finger: Komm her! Wie bei einem Hund.
Gerent trat steif vor und wartete reglos und mit leerer Miene, während der Herr erst die eine Kette anbrachte und dann die andere. Gerents Schultern schmerzten von der unangenehmen Haltung, zu der ihn die Fesseln zwangen. Das Fluchgelübde, das zusammengerollt im Hintergrund seines Gewahrseins geruht hatte, bewegte sich mit der ersten Kette und erwachte dann mit der zweiten; es grub seine scharfen Zähne in Gerents Willen. Gerent atmete schwer aus. Die Wut erstarb, die ihn eben noch geschüttelt hatte; Furcht sprang an ihre Stelle, brannte sofort aus und hinterließ gar nichts. Es fühlte sich an, als wäre sein Herz zu Asche verbrannt. Er blickte dem neuen Meister ins Gesicht, als sich der Herr aufrichtete, zeigte dabei aber kein großes Interesse.
Einen Augenblick lang erwiderte der Herr nur diesen Blick. Dann befahl er: »Gerent Ensiken. Knie dich hin.«
Es wäre nicht möglich gewesen zu zögern, aber Gerent versuchte es auch gar nicht. Er sank auf die Knie, neigte den Kopf und sagte im passivsten Sklaventon: »Meister.«
»Das wäre also erledigt, mein Herr«, sagte der Richter zufrieden. »Soll mein Personal ihn für dich brandmarken?«
Gerent spürte sogleich, dass die Furcht doch noch nicht ganz tot war. Er spannte sich an, blickte aber nicht auf. Er wusste sofort, dass er damit hätte rechnen sollen. Natürlich hatten sie gewartet, bis er durch das Fluchgelübde gebunden war und man ihm befehlen konnte, sich nicht zu wehren. Das würde für alle so viel leichter sein. Außer natürlich für den Mann, der sich der Brandmarkung unterwerfen musste und nicht einmal Widerstand zu leisten vermochte ...
»Das wird nicht nötig sein«, antwortete der weißhaarige Herr.
»Wie du wünschst, mein Herr. Natürlich weißt du, dass laut Gesetz ein durch ein Fluchgelübde gebundener Mann mit einem Brandmal versehen werden muss ...«
»Das ist mir klar«, entgegnete der Herr, der glatte Tonfall nach wie vor undeutbar. »Ich sorge selbst dafür. Wenn du so gut wärst, deine Männer anzuweisen, dass sie ihm die Fesseln abnehmen. Vielen Dank, hochverehrter
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